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Pankraz, Peter Peterson und die Träume der Politiker

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Pankraz, Peter Peterson und die Träume der Politiker

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Peter Peterson (83), ehemaliger US-Finanzminister unter Präsident Nixon, hat kürzlich ein Buch herausgebracht, über das in der angelsächsischen Welt schon viel gekichert wird. Es heißt übersetzt „Die Erziehung eines amerikanischen Träumers“ und bietet eine Art Autobiographie, mit viel politischem Gezeter dazwischen. Und just dieses Gezeter sorgt für Heiterkeit.

Peterson, von seiner Biographie her doch ein ausgesprochener Profi der (Finanz-)Politik, kann es nämlich gar nicht fassen, daß die Politiker, alle Politiker, „eiskalt wider besseres Wissen“ reden und handeln. Immer wieder kommt er darauf zurück, als habe er soeben eine unerhört neuartige Entdeckung gemacht.  Die Politiker lügen und betrügen, nur um an der Macht zu bleiben, schimpft er. Sie reißen riesige Löcher in den Haushalt, obwohl sie genau wissen, daß sie die nie wieder stopfen können, und sie tun dabei so, als sei alles bestens und nicht der geringsten Aufregung wert. Ecrasez l’infame!

„Tut er nur so, oder war er wirklich all die Jahre so harmlos?“ fragt nun der Londoner Economist in seiner Besprechung des Peterson-Buches. Und ein anderer Rezensent bemerkt maliziös: „Der hat entschieden zu lange geträumt. Bei wem Erziehung so spät ansschlägt, der sollte lieber kein Politiker werden.“ Einerseits geben viele Diskutanten den Analysen des Ex-Finanzministers durchaus recht, andererseits glaubt ihm niemand, daß er seine Erkenntnisse erst als hochbetagter Polit-Rentner gewonnen hat. Ein aktiver Politiker ohne primäres Machtgelüst und ohne Ahnung von der Notwendigkeit verschleiernder Rhetorik – das kann sich kein realistischer Politikbeobachter heute mehr vorstellen.

Soeben hat man in einigen Zeitungen des sechzigsten Jahrestags des Erscheinens von George Orwells Roman „1984“ gedacht, jener berühmten Negativutopie eines totalitären Überwachungsstaats („Big Brother is watching you“), in dem die Herrschenden ihre Macht vor allem mittels „Neusprech“ aufrechterhalten und immer weiter ausdehnen. Neusprech ist Doublespeak, Doppelsprech. Sämtliche Wörter werden von der staatlichen Gedankenpolizei je nach Machtbedarf mit einem speziellen Sinn versehen, ohne daß man dabei die Wortform ändert. Krieg heißt dann gegebenenfalls „Frieden“, Dummheit „Klugheit“, Feigheit „Mut“ usw. usw. Wer sich nicht an die Neuregelungen hält, verschwindet im Lager.

Einige Erinnerungs-Rezensenten haben darauf hingewiesen, daß es in unseren Tagen einer Gedankenpolizei wie bei Orwell gar nicht mehr bedarf, um Doublespeak durchzusetzen. „Wir haben ja die Medien“, so der Tenor, „die politische Klasse muß sich nur eng und sympathetisch mit den Medienoberen zusammentun, und schon funktioniert der Laden, ganz ohne Diktatur. Das Publikum mag ein bißchen Politikverdrossenheit üben, die Sprache vorschreiben läßt es sich allemal.“

Und zumindest die Sprache der heutigen Politik ist eben von Anfang bis Ende „peremptorisch“, d. h. es geht ihr nicht um Wahrheiten, sondern um Wirkungen. Jeder Politiker und jeder Medienvertreter weiß das inzwischen. Politische Interviews beispielsweise sind reine Schleiertänze, „Lügentänze“, wie Peterson es nennt. Sie interessieren nur insofern, als sie der Durchsetzung einer bestimmten Absicht dienen, einer Bekräftigung etwa, einer Absicherung oder einer kühl berechneten Provokation.

Der Interviewte denkt nicht daran, seine Karten offen auf den Tisch zu legen, auch wenn er den Interviewer noch so gern hat und mit ihm noch so sehr einer Meinung ist. Und der Interviewer richtet sich danach, verwendet ebenfalls Neusprech, auch wenn er den Interviewten noch so sehr haßt und ihm alles Schlechte wünscht. Auch ihm geht es nicht um Wahrheit, sondern um Wirkung. Entweder stellt er sich mit Absicht dem Politiker als Sprachröhre und Lautverstärker zur Verfügung, oder er möchte etwas aus ihm „herauskitzeln“, das bei den ausschlaggebenden Kontrollbehörden der Sender und Zeitungen gut ankommt und zur Mehrung seines, des Interviewers, eigenen Ruhms beiträgt.

Bleibt die Frage, wie lange so etwas gutgeht. Das Publikum, der „normale Medienkonsument“, mag geduldig sein, die Wirklichkeit selbst ist es nicht. Wenn eine Politik so falsch eingerichtet ist, daß ihre Räder nach einer gewissen Zeitspanne bis zur Weißglut heißlaufen und der ganze Betrieb explodiert, hilft auch der raffinierteste Doublespeak nicht mehr, im Gegenteil, er wirkt nun regelrecht kontraproduktiv, Die entstellte, zum reinen Machtinstrument verbogene  Sprache verschleiert nichts mehr, sondern stellt das Übel grell heraus. Die Mitglieder der Gedankenpolizei, die den  Doublespeak angerührt haben, werden zum Totengräber des eigenen Systems und kommen in größte Schwierigkeiten.

In Orwells „1984“ verschwindet der Protagonist Winston Smith, ein Angestellter des sogenannten „Wahrheitsministeriums“, in den Kellern der Staatssicherheit, und es trifft ihn am Ende die tödliche Kugel eines Geheimagenten. Verglichen mit ihm hat also Ex-Finanzminister Peter Peterson noch Glück. Ihn trifft keine Kugel, sondern nur der Spott ehemaliger Kollegen und aktueller Rezensenten.

Und vielleicht bleibt denen eines gar nicht fernen Tages der Spott im Halse stecken, wenn sich nämlich Petersons Voraussagen bestätigen sollten und sich das von den Doublespeakern schöngeredete Loch im Haushalt gewissermaßen als „schwarzes Loch“ im Sinne der modernen Kosmologie erweist, welches buchstäblich alles strudelförmig in sich hineinreißt und auf Nimmerwiedersehen zum Verschwinden bringt.

Wie lautet der Titel des Buches von Peter Peterson? „Erziehung eines Träumers“. Vielleicht sind seine Kritiker, die sich so selbstgefällig als harte Realisten ausgeben und keine Erziehung nötig zu haben glauben, die eigentlichen Träumer. Träume sind dazu da, um den Träumer gegen Störungen aus der Außenwelt abzuschirmen. Mag sein, auch der zur Zeit so heißgeliebte politische Doublespeak ist nichts als ein solcher Traum. Ein Traum zuviel.

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