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Leckerbissen

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Ein Pasticcio, das ist was zu essen, ein klassisches Pastagericht oder eine Pastete. In der Musik aber bedeutet Pasticcio ein musiktheatralisches Werk, dessen Musik von mehreren Komponisten oder aus mehreren Werken eines Komponisten zusammengestellt, komponiert, worden ist, letzteres eine probate Methode der Komponisten des 18. Jahrhunderts, eigene Musik zu recyceln, wenn nur die standardisierten Affekte irgend paßte. Kein Wunder, daß Händel, ein Meister der Opera seria, auch ein Meister der Pasticci war.

Ein Pasticcio zum Händel-Jahr, hat der französische Musikwissenschaftler Ivan A. Alexandre, Experte auf dem Gebiet der sogenannten Alten Musik, aus elf von Händels Opern und Oratorien zusammengestellt: „Un’ opera immaginaria“, eine imaginäre Oper, dreiaktig, wie es sich für ein „Dramma per musica“ gehört, der erste Akt abwechslungsreich und brillant, der zweite tragisch, der dritte mächtig und martialisch, doch ohne Handlung, ohne reale Personen.

Die einstündige Einführung in die reiche Formensprache der Seria, wie sie das ganze 18. Jahrhundert über gang und gäbe war und von Händel virtuos benutzt wurde, ist eine gute Ohrenschule für den, der sich den originalen Werken nicht nur genießend nähern, sondern ihre musikalische Faktur als soziale Technik lesen und hören lernen will. Und sie führt in die ausdifferenzierte und durchaus konträre Art und Weise historischer Aufführungspraxis heute ein und gibt einen Überblick über wichtige Interpreten: Joyce DiDonato, Natalie Dessay, Max Emanuel Cencic, Ian Bostridge, Anne Sofie von Otter, Philippe Jaroussky, Vivica Genaux, Stephanie Blythe, David Daniels Daniels, Arleen Augér, Geraldine McGreevy, Manuela Custer, Anna Bonitatibus, Les Arts Florissants unter Leitung von William Christie, Il Complesso Barocco unter Alan Curtis, Les Violons du Roy unter Bernard Labadie, Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset, Le Concert d’Astrée unter Emmanuelle Haïm, das City of London Sinfonia unter Richard Hickox, das Ensemble Orchestral de Paris unter John Nelson und das Orchestra of the Age of Enlightenment unter Harry Bicket und Sir Roger Norrington. (EMI/Virgin Classics 50999 2667280 2 5)

Doch ach, die Interpreten sind sämtlich bei dem Konzern EMI unter Vertrag und die Nummern der imaginären Oper Auskoppelungen aus Gesamtaufnahmen und Soloalben des aktuellen Katalogs. Früher gab es dieserart Sampler als kostenloses Werbegeschenk, und wofür ein kompetenter Produzent gesorgt hätte – zu EMIs goldnen Zeiten war ja einer von Weltruf zugange –, muß man sich heute der Hilfe eines Musikwissenschaftlers von außen versichern. Dessen sorgfältige Auswahl und Arrangement der ausnahmslos hochkarätigen und teilweise maßstabsetzenden Interpretationen führt uns Deutschen einmal mehr vor Ohren, daß wir diesen unseren Nationalkomponisten italienischer Schule wohl auf ewig an Britannien verloren geben müssen.

Höhepunkt: die Arie des Ariodante „Scherza infida“, gesungen von dem französischen Countertenor Philippe Jaroussky, eine Auskopplung aus seinem Anfang diesen Jahres erschienenen Album von Carestini-Stücken. Trotz Cencic, trotz Daniels und trotz Bostridge, der die Arie den Kastraten für sein eigenes Händel-Album gestohlen hat, ist hier eine neue Qualität des Countergesangs zu hören, zu erleben: Gesang als Bezauberung, wie eine ganz sachte erotische Berührung, ein Sirenengesang – von einer Frau, von einem Mann –, der alle gesellschaftlichen und Geschlechterrollen auflöst, indem er sie erfüllt.

Mit seiner kleinen Flickoper hat EMI dem Hörer eine Art Magic Cookie zur Beförderung weiterer Kaufentscheidungen zwischen die Ohren plaziert und zu mindestens einer den Rezensenten schon verführt.  

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