Der alte Löwe brüllt noch. Seine Bildung ist phänomenal, seine Logik verblüffend, seine Vielseitigkeit bewundernswert, seine vitale Fähigkeit, nicht nur andere, sondern auch sich selbst immer wieder zu ärgern, beeindruckt nicht minder als sein Humor. An Kuehnelt-Leddihn vorbeigehen kann man nicht!“ So schrieb die Wiener Tageszeitung Die Presse zum 85. Geburtstag des unkonventionellen Denkers und ritterlichen Nonkonformisten.
Sehr früh schon hatte der am 31. Juli 1909 in Tobelbad in der Steiermark geborene Universalgebildete seine rasante Karriere begonnen. Als Sechszehnjähriger begann er für verschiedene Zeitungen zu schreiben. Nach dem Abitur studierte er Jura, Staats- und Volkswirtschaft zunächst in Wien, dann in Budapest. Als Korrespondent einer ungarischen Zeitung ging er 1930 nach Moskau. Die Begegnung mit dem Kommunismus versetzte ihm einen Schock, der sich in seinem weiteren Leben noch stark auswirken sollte.
Sein erstes Buch „Jesuiten, Spießer, Bolschewiken“ schrieb Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihn – von seinen Freunden liebevoll „der Ritter“ genannt – 1933 unter Pseudonym. Es kam auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ und wurde 1938 von den Nationalsozialisten verboten. Dies bestärkte ihn in seiner These, daß beide totalitären Systeme gar nicht so unterschiedlich sind. Alle Formen des Sozialismus, der nationale wie der internationale, sind letztlich linksgerichtet.
Die gesamte Geschichte sieht Kuehnelt-Leddihn im Kampf zwischen Freiheit und Gleichheit. „Links“ nennt er alle politischen Systeme, die eine Gleichheit auf Kosten der Freiheit wollen. Ihren Ursprung sieht Kuehnelt-Leddihn in der Französischen Revolution von 1789, jenem „pathologischen Ereignis“, das in eine sadistische Schlachtorgie ausartete. Als „rechts“ – etymologisch von „richtig“ abgeleitet – definiert er alle Denkarten, die der Freiheit den Vorrang vor der Gleichheit geben. Diese These entfaltet er in seinem 1953 erschienenen Hauptwerk „Freiheit oder Gleichheit“. In unterschiedlichen Varianten und Aktualisierungen hat er sie später in insgesamt 35 Büchern und zahlreichen Artikeln stets neu vorgelegt. Er selbst bezeichnete sich daher in einem Artikel der Zeitschrift Criticón als „rechtsradikalen Liberalen“.
Von Nicolás Gómez Dávila stammt der Ausspruch „Die Menschheit braucht mitunter Jahrhunderte, um Gedanken wieder voneinander zu scheiden, die vorschnell miteinander verknüpft wurden. Zum Beispiel Liberalismus und Demokratie.“ Kuehnelt-Leddihn zeigt große gedankliche Parallelen zu diesem kolumbianischen Philosophen, auf den er als einer der ersten im deutschen Sprachraum aufmerksam gemacht hat. Nicht übersehen werden darf vor allem der dezidiert katholische Standpunkt beider Denker. Beiden war klar, daß der Glaube heute weitgehend verdunstet ist. Kuehnelt-Leddihn bemerkte, daß wir heute nur noch vom „Geruch der leeren Flasche“ leben. So plädierte er für eine „katholische Kultur“, die es wieder zu schaffen gilt. Daher wandte er sich heftig gegen die Linkskatholiken, die eine Versöhnung von Kirche und Moderne anstrebten.
1937 zog er nach Washington D.C., wo er eine Professur an der katholischen Georgetown Universität antrat. Doch schon 1947 gab der streitbare Gelehrte seine Professur wieder auf, um von nun an als Privatgelehrter durch die Welt zu reisen. Seine Reisen führten ihn durch sämtliche Kontinente und oftmals in Krisenregionen und an Kriegsschauplätze. Vor allem kam er fast jährlich in die USA zurück, die als Ursprungsland der Demokratie für ihn deshalb so wichtig waren, weil er „das Übel an der Wurzel packen“ wollte. Die Demokratie baue nur auf Neid und finanziellen Versprechungen auf und sei daher eine „Schönwetterstaatsform“.
Im Laufe der Jahre erlernte Kuehnelt-Leddihn zwanzig Sprachen, darunter Japanisch und Arabisch. Er war ein polyglotter Universalgebildeter, der einen konservativ-katholischen Standpunkt vertrat und durch seine forsche, unkonventionelle Art wie auch sein umfassendes Detailwissen begeistern konnte. Davon zeugen beispielsweise die immensen Anmerkungsapparate in seinen Büchern.
Jünger bezeichnete ihn als „einsame Stechpalme“
Neben politiktheoretischen Büchern schrieb er auch mehrere Romane. Sein erfolgreichstes Buch ist der Zukunftsroman „Moskau 1997“ aus dem Jahr 1940. Dieser erlebte zahlreiche Auflagen, zuletzt bei Herder unter dem Titel „Der gefallene Engel“. Er handelt von dem Kampf des Gläubigen gegen einen militanten Kommunismus einerseits und gegen ein sattes, selbstzufriedenes Kleinbürgertum andererseits. Das letztere begünstige die Ausbreitung des ersteren durch seine Untätigkeit.
Erik von Kuehnelt-Leddihn war eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, die Ernst Jünger in „Siebzig verweht“ als „einsame Stechpalme“ bezeichnet hat. Er lebte gemäß dem Napoleon zugeschriebenen Diktum „Nur die Wahrheit verletzt.“ Aber so scharf seine Attacken auch sind, sie werden immer mit Humor vorgetragen.
Seine Autobiographie „Weltweite Kirche“ konnte Erik von Kuehnelt-Leddihn gerade noch vollenden. Ihr Erscheinen anläßlich seines 90. Geburtstags erlebte er nicht mehr. Er verstarb am 26. Mai 1999 in Lans bei Innsbruck.