Wie kommt ein Dermatologe zum Schreiben von Opernhandbüchern? Beim Besuch in seinem Kemptener Domizil war Heinz Wagner gerade dabei, an dem Ergänzungsband zur vierten Ausgabe seines Opernführers zu schreiben, der im Herbst zu seinem 90. Geburtstag erscheinen soll. Beim Gespräch mit dem rüstigen Autoren spürt man sofort die Liebe und Begeisterung zur Oper, die sein Leben von jung auf bis heute begleitet hat.
1919 in Augsburg geboren, der Vater dort Zeitungsredakteur, wächst Heinz Wagner in einem musischen Elternhaus auf, wo Klavierspiel und die Liebe zur Klassik selbstverständlich war. Nach Krieg und Gefangenschaft studiert er Medizin in München, 1948 Staatsexamen und Promotion. 1953 bot sich ihm die Chance, an der damaligen renommierten Augsburger Hautklinik als Assistenzarzt tätig zu werden. Dort lernte er seine Frau kennen, Tochter eines Kemptener Arztes. 1960 eröffnete er mit bescheidenen Mitteln eine eigene Praxis in Augsburg. Kaum eröffnet, da erreichte ihn die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Schwiegervaters. Heinz Wagner zieht nach Kempten ins Allgäu und übernimmt 1961 dessen Praxis, die er bis zu seinem Ruhestand führte.
Und wie kam er nun zum Schreiben seines Opernführers? Nach dem Krieg gab es nur geringe Möglichkeiten für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Als Augsburger Theaterarzt konnte er aber mit seiner Frau regelmäßig die dortigen Opern- und Operettenaufführungen sehen. Dazu ergab sich die Möglichkeit, über den Großhandel ein Radio mit Plattenspieler zu erwerben. Jedes übrige Geld wurde für die Anschaffung von Schallplatten ausgegeben.
Das Ehepaar veranstaltete im Freundeskreis Quizabende zum Thema Oper/Operette, und so entstand eine Sammlung von über 1.000 Schallplatten mit 200 Gesamtaufnahmen von Opern und Operetten. Akribisch bereitete sich Heinz Wagner auf diese Abende vor. Mit einer Reiseschreibmaschine stellte er allmählich immer mehr Einzelheiten über die Werke unzähliger Komponisten zusammen, katalogisiert und alphabetisch geordnet.
Bei seiner Sammelleidenschaft fiel ihm aber immer wieder auf, daß das Lesen der gängigen Opern- und Operettenführer kein Genuß war, weil sie viel zu wenige Einzelheiten enthielten. So entstand mit seiner Frau die gemeinsame Idee, selbst einen Opernführer herauszugeben.
Voller Euphorie besuchten sie 1986 die Frankfurter Buchmesse und waren erst einmal von der auch schon damals riesigen Anzahl ausstellender Verleger geschockt. Trotzdem wandten sie sich voller Erwartung an einige renommierte Verlage und wurden mit vordergründigen Absagen enttäuscht, bis Heinz Wagner schließlich an einen kleineren Verlag geriet, der die Marktlücke erkannte. So kam es zur Geburtsstunde des „Handbuchs der Oper“ von Heinz Wagner, das 1987 erstmals herausgegeben wurde.
Inzwischen ist 2006 die vierte Auflage erschienen und sein Werk hat eine Auflage von 100.000 Stück erreicht. In der neuesten, 1.470 Seiten umfassenden Ausgabe sind 886 Komponisten mit ausführlichen Beschreibungen von 2.550 Opern aufgeführt. Mit dem im Herbst erscheinenden Ergänzungsband werden es insgesamt 3.000 Opern sein. Nebenbei hat Heinz Wagner auch ein Operettennachschlagewerk geschrieben, das 1997 mit insgesamt 120 Komponisten und 430 Werken erschienen ist.
Auf die Frage, ob er mit einer so hohen Auflage zu zusätzlichem Wohlstand gekommen sei, antwortet er spontan mit lautem Lachen, daß die ihm zugeflossenen Einnahmen gerade einmal den Kostenaufwand für seine Arbeit gedeckt hätten.
Neugierig geworden, wie er zu den heutigen „modernen“ Aufführungen steht, läßt er durchblicken, daß ihn als Opernbesucher auch so manche moderne Inszenierung ärgert. Mangelnder Respekt vieler Regisseure vor dem Werk und der Aussage des Komponisten, wie er sagt. Wagner läßt dabei offen, ob er als Mediziner darin eine Profilneurose entdecken könnte.
Heinz Wagner: Das große Handbuch der Oper, 4., stark erweiterte Auflage, Florian Noetzel Verlag, Wilhelmshaven, gebunden, 1.470 Seiten, 49,50 Euro