Es ist eine erfreulich unspektakuläre, klassische kleine Fotoausstellung, die uns im Kolbe-Museum erwartet, ergänzt mit einigen Plastiken. Das ist in der heutigen marktschreierisch lauten Zeit, in der sich die platten Selbstdarsteller nur so die Türklinke in die Hand geben, schon bemerkenswert. Menschen und Orte, der Titel der Ausstellung, bezieht sich auf eine gleichnamige bibliophile Heftreihe, die die Fotografin Angelika Fischer seit 2002 im Eigenverlag mitherausgibt. Immer geht es um Leben und Lebensorte bedeutender Menschen aus dem deutschsprachigen Raum, vor allem Bildender Künstler und Schriftsteller. Fünfzehn Biographien sind bis heute erschienen, neun Dargestellte wurden für die Ausstellung ausgewählt: Alfred Kubin, Wilhelm Busch, Arno Schmidt, Karl May, Hermann Sudermann, Georg Kolbe, Ernst Barlach, Ernst Jünger, Bertolt Brecht und Helene Weigel. Von deren Lebens- oder Rückzugsorten sind eine kleine Auswahl von Schwarzweißfotos zu sehen, die sich wohltuend von allgegenwärtigen Farbbildern abheben. Das Spiel des Lichtes, die Struktur der Gegenstände und die haptischen Formen der Dinge sind Ausdrucksträger dieser stillen Fotos. Menschen spürt man meist nur mittelbar durch Dinge: die Brille auf dem Manuskript oder ein vom Spaziergang mitgebrachtes Büschel wilden Thymians neben Stock und Hut am Kleiderhaken. Fischer strebt nach Zeitlosigkeit. Sie interessieren die Spuren schöpferischer Menschen, sichtbar in gebliebenen Alltagsgegenständen und unsichtbar in der Atmosphäre ihrer Häuser und im Geist der umgebenden Natur. An Schriftstellern und Bildenden Künstlern fasziniert uns häufig auch deren persönliches Umfeld, das sie geprägt haben und von dem sie geprägt wurden. Das Kolbe-Museum umfaßt Kolbes Wohn-und Atelierhaus, den Anbau von 1996 und Kolbes Garten. Die Ausstellung hier auszurichten, scheint folgerichtig, zumal eines der Hefte, Georg Kolbe in Westend, sich mit diesem konkreten Platz befaßt. Ergänzt wurden die Fotos mit Bronzen Kolbes, darunter die schöne, in sich selbst versunkene weibliche Gewandfigur Adagio von 1923. Diese akzentuieren den Raum, der durch die Reihung der fast ausschließlich gleichformatigen Fotos zu monoton geworden wäre. Während die Hefte ein wesentlich vielseitigeres Anschauungsmaterial offerieren, neben großen Landschaftsaufnahmen auch Porträts, zeigt die Ausstellung eine deutlich reduzierte Auswahl mit dem Schwergewicht auf stillebenhaften Ausschnitten. Oft sind sie eindrucksvoll. Manchmal kommt es zu ein wenig langweiliger Wiederholung von Motiven (Blick in den Spiegel, der einen Innenraum reflektiert), oder Details sind zu nichtssagend, was wahrlich nicht hätte sein müssen. Das betrifft Ansichten aus Arno Schmidts Haus in Bargfeld bei Celle, in dem sein Opus Zettels Traum entstand. Bei Karl Mays 1896 bezogener Villa Shatterhand kann man wieder aufatmen. Deutschlands erfolgreichster Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts, von dem die Leser glaubten, er selbst sei Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, hatte sich hier eine Phantasiewelt aufgebaut, eine Mischung aus Orient und Wildem Westen, die parallel lief mit seinen erfundenen Abenteuern. Auffallend ist, welch verschiedenen und eigenwilligen Individualitäten man begegnet. Bei dem Grafiker und Autor Kubin herrscht eine fast mönchisch karge Atmosphäre, die zu seinen Zeichnungen von Abgründen der menschlichen Seele paßt. Hier auf seinem Landgut im oberösterreichischen Zwickledt schrieb er seinen phantastischen Roman Die andere Seite (1909). Ganz anders Deutschlands einstmals meistgespielter Bühnenautor Hermann Sudermann, der vor dem ihn zunehmend belastenden kleinlichen Berliner Literaturbetrieb floh. 1902 erwarb er sein nobles Herrenhaus samt Landschaftspark in Blankensee und schuf sich hier sein eigenes Arkadien voller Skulpturen und sorgsamer Ästhetik. Der herausragende Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller Ernst Barlach suchte Arbeitsruhe in seinem Atelierhaus zwischen Heidberg und Inselsee in Güstrow/ Mecklenburg. Die lichtdurchfluteten Aufnahmen aus der Güstrower Gertrudenkapelle mit dem gekreuzigten Christus und der eindrucksvollen Bronze Pieta fügen dem Charakter erlebter Arbeitswelten einen deutlich sakralen Akzent hinzu. In Wilflingen am Fuße der Rauhen Alb lebte und arbeitete Ernst Jünger, schrieb Essays, Romane und Tagebücher, reiste von hier aus in aller Herren Länder und verarbeitete die auf diesen Reisen gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen literarisch. Die Spuren seines reichen Jahrhundertlebens wirken noch immer gegenwärtig. Bertolt Brecht, der berühmte Dichter und Dramatiker, und die überragende Schauspielerin Helene Weigel fanden ihr Refugium in Buckow (Märkische Schweiz) am Schermützelsee. Hier hatten sie Ruhe zum Arbeiten, kamen Freunde und Kollegen zu Gesprächen und geistigem Austausch. Was sind Angelika Fischer für schöne, stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen gelungen! Der unterschiedliche Charakter des fotografisch Erfaßten, bedingt durch die ausgeprägte individuelle Verschiedenheit der Persönlichkeiten, ist eine der Stärken der Ausstellung. Eine weitere liegt wohl im Wunsch des Betrachters, den einen oder anderen Ort selbst zu schauen und sich anregen zu lassen vielleicht für ein eigenes, kleines Refugium. Die Ausstellung ist bis zum 13. April im Berliner Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 304 21 44 Angelika Fischer, Brecht & Weigel, Blick auf den Schermützelsee, 2001 (Silber-Gelatine-Abzug auf Barytpapier): Der Dichter und die Schauspielerin fanden ihr Refugium in der Märkischen Schweiz. Noch heute erinnert die Eiserne Villa am Buckower Schermützelsee an die letzten Lebensjahre Brechts (18981956) und seiner Frau und Weggefährtin Helene Weigel (19001971