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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Zwei Stunden Blitzkrieg

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Sollte man die O2 World meiden oder lieben?“ fragte kurz vor Eröffnung der zweitgrößten Multifunktionsarena Deutschlands der ansonsten eher wirtschaftsliberale Tagesspiegel. „Weil der Ekelklotz am Spreeufer eine kulturelle Kampfansage an Berlin ist, gehört die Halle boykottiert. Und wieder abgerissen“, antwortete taz-Kommentator Martin Kaul. Daß die 165 Millionen Euro teure Halle nun aber einmal stehe, sei kein Argument: „Ginge es nach mir: Ich würde sprengen“, empfahl der Schreibtischgewalttäter. Doch eine Sprengung von 35.000 Kubikmetern Beton und 4.200 Tonnen Bewehrungsstahl überfordert die gewaltbereite Linksextremistenszene. Etwa 1.200 selbsternannte „Spreepiraten“ versuchten deshalb durch „Überwindung von Absperrungen in den Veranstaltungsbereich der Eröffnungsfeier einzudringen“, notierte der nüchterne Polizeibericht. Während der Personenüberprüfung eines 17jährigen fiel „eine mit vermutlich säurehaltiger Flüssigkeit gefüllte Flasche zu Boden und zerbrach. Insgesamt 18 Polizeibeamte, von denen fünf über Atemprobleme klagten, wurden daraufhin in Krankenhäusern ambulant behandelt“. Etwa 200 Störer schafften es dennoch in die Arena, acht von ihnen enterten die Bühne eines Radiosenders und demolierten die Ausstattung. „Insgesamt wurden 13 Personen unter anderem wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Körperverletzung und Sachbeschädigung vorläufig festgenommen“, hieß es weiter. Zwei Tage später gaben 17.000 Heavy Metal-Anhänger auf die Tagesspiegel-Frage eine ganz andere Antwort: Die aus ganz Europa und sogar aus Japan Angereisten pilgerten am 12. September zum ersten Konzert in die „O2 World“, wo Metallica die Weltpremiere ihrer langerwarteten „Death Magnetic“-Platte zelebrierten. Die überwiegend männlichen Metaller ließen sich dabei weder von den am Bahnhof Warschauer Straße herumlungernden Nachwuchstrunkenbolden provozieren noch von den hohen CD, Getränke- und Imbißpreisen in der Halle abschrecken. Schließlich hatten sie ihre Eintrittskarten über die Internet-seiten metclub.com oder missionmetallica.com für den Freundschaftspreis von zehn Euro ergattert. Der Erlös wird dem Deutschen Herzzentrum Berlin gestiftet, das damit eine Herz-Lungen-Maschine für Kleinkinder kaufen will. Kurz vor halb neun war die Arena dann bis auf den letzten Platz gefüllt und aus den etwas dumpf klingenden Lautsprechern tönte nach metallischer Durchschnittskost endlich „It’s A Long Way To The Top“. Das Eröffungsstück vom 1976er AC/DC-Album „High Voltage“ leitete den ebenso hochenergetischen Auftritt des US-Quartetts ein. Metallica begannen mit den beiden schnellen „Death Magnetic“-Stücken „That Was Just Your Life“ und „The End Of The Line“, die nahtlos in „The Thing That Should Not Be“ vom 1986er Klassiker „Master Of Puppets“ übergingen. Dann gab es die erste Atempause auf der rechteckigen 360-Grad-Bühne, die wie gewohnt in der Hallenmitte aufgebaut und von Lars Ulrichs Schlagzeugpodest gekrönt wurde. Nachdem Sänger James Hetfield seine Gitarre gewechselt und ein paar Worte ans Publikum gerichtet hatte ging‘s mit „Of Wolf And Man“ vom über 37 Millionen Mal verkauften „Schwarzen Album“ von 1991 weiter. Darauf folgte mit dem Monumentalwerk „One“ von der 1988er „And Justice for All“-Doppel-LP der erste Höhepunkt des zweistündigen Metallica-Auftritts. Gitarrist Kirk Hammett konnte zeigen, daß er mit 45 Jahren immer noch der mit Abstand beste der sichtlich gealterten Musikanten ist. Anschließend gab es mit „Broken, Beat, and Scared“ sowie „Cyanide“ zwei weitere Neuvorstellungen, die von den Metallica-Fans ebenfalls begeistert aufgenommen wurden — endlich wieder abwechslungsreiche Gitarrenläufe statt gepflegter Langeweile wie auf „Load/Reload“. Das nachfolgende „Frantic“ vom 2003er Totalausfall „St. Anger“ löste hingegen im nachhinein Stirnrunzeln aus, weil die meisten Anwesenden dafür wohl lieber Hits wie „Enter Sandman“ oder das Juwel „Fade To Black“ gehört hätten. Die 1996er Ballade „Until It Sleeps“ bot die einzige Verschnaufpause, denn mit „Wherever I May Roam“ und „For Whom The Bell Tolls“ folgten zwei weitere Fünf-Minuten-Stampfer. Zweiter Höhepunkt des Metallica-Abends war das mit ruhigen Gitarrenharmonien beginnende fünfte und letzte neue Stück „The Day That Never Comes“, das von seinem Aufbau her an „One“ oder „Welcome Home (Sanitarium)“ erinnert. Das auch in Video-Form zu bewundernde Acht-Minuten-Opus dürfte sich ähnlich wie das anschließende „Master Of Puppets“ zum unverzichtbaren Metallica-Klassiker entwickeln. Nach „Blackened“ war dann zunächst Schluß — doch die vier Herren ließen sich nicht lange bitten. Zur ersten Zugabe mit dem für taz-Abonnenten erschreckenden Titel „Blitzkrieg“ regnete es fliegerbombengroße schwarze Metallica-Luftballons. Zwei 25jährige Hochgeschwindigkeitshämmer beendeten den viel zu kurzen Freitagabend: „Jump In The Fire“ und „Seek and Destroy“. Bei letzterem schüttelten zwar der 2003 von Metallica engagierte Bassist Robert Trujillo und das teilweise dreißig Jahre jüngere Publikum ihre Haare wild um die Wette, doch dabei ging nicht einmal ein Bierbecher zu Bruch. Auch das befürchtete Verkehrschaos blieb aus. Sprachschützer werden sich am englischen „O2 World“ stören, aber die deutsche Tochterfirma des spanischen Telefónica-Konzerns blätterte dafür angeblich einen zweistelligen Millionenbetrag hin. Außerdem dürfte die berühmte Berliner Schnauze sicher bald einen besseren Hallennamen finden. Journalisten mögen derweil weiter über Hinterhofmusik und Graswurzeltheater in Kreuzberg sinnieren — die Großereignisse finden jetzt im einst belächelten Berliner Osten statt. Daß der milliardenschwere „O2 World“-Besitzer Philip Anschutz ein BushRepublikaner und konservativer Aktivist der Evangelical Presbyterian Church ist, bringt sicher nicht nur Spreepiraten zur Weißglut. Das Herbert Grönemeyer-Konzert am Samstag war dennoch ausverkauft. Lediglich der Dalai Lama kann aus Gesundheitsgründen im Oktober vorerst nicht kommen. Foto: Metallica (Kirk Hammett, Robert Trujillo, James Hetfield, Lars Ulrich) in Berlin: Ihr letztes Stündlein hat noch längst nicht geschlagen

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