Einstimmig hat die Jury für den Architekturwettbewerb zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschloßkörpers den Italiener Francesco Stella am vergangenen Freitag zum Sieger gekürt. Der Entwurf des aus Vizenca stammenden Architekten ist einer, der — gemessen an den Ausschreibungsvorgaben — weitestgehend die Wiederherstellung des 1950 gesprengten Hohenzollernschlosses anstrebt. Dementsprechend werden die drei Schlüterschen Barockfassaden in organischer Verbindung mit den Innenräumen wiedererrichtet. Daraus folgt eine dem Originalzustand entsprechende Geschoßhöhe und Raumabfolge, die — zumindest theoretisch — eine Restauration einstiger Paradekammern und Treppenhäuser erlauben würde. Erklärungsbedarf betreffs letzterer sieht der Schloßstreiter Wilhelm von Boddien allerdings noch bei den Treppenhäusern im Schlüterhof. Darüber hinaus wird auch — zumindest der Kubatur nach — der Innenhof von Eosander wiedergewonnen, welcher künftig überdacht sein soll. Mit ausschlaggebend für den Entwurf Stellas war zweifelsohne dessen Bekenntnis zu der von Stüler und Schadow Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffenen Kuppel über dem Westportal, nach einem ursprünglichen Entwurf von Karl Friedrich Schinkel. Neu hinzu tritt die Planung einer Nord-Süd-Passage durch das Schloß, die von der Seite des Lustgartens bis zur Breiten Straße führen wird. Kurioserweise steht dort bereits auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit dem einstigen Balkon des Westportals das größte noch zusammenhängende Schloßfragment — als zentrales Fassadenelement des ehemaligen Staatsratsgebäudes der DDR. Von dem Balkon hatte Karl Liebknecht am 9. November 1918 die „sozialistische deutsche Republik“ ausgerufen. Retrospektiv betrachtet steht es für den mißglückten städtebaulichen Versuch, die eigene Existenz durch die Inkorporation historischer Bausubstanz zu legitimieren. Heute ist das Gebäude Sitz einer European School of Management and Technology. Kanus aus Tonga im Hohenzollernschloß Gespannt darf die Öffentlichkeit nun darauf sein, ob in der nachgebauten Schloßfassade eine Kopie stehen wird — oder nicht besser das Original. Die Frage dürfte aber bis auf weiteres nachrangig bleiben. Zunächst gilt es anderes zu beanworten. Dazu gehört auch die Frage nationaler Selbstvergewisserung. Denn offenbar, so ein Kommentar nach dem Entscheid der Jury, „müssen wir einen denkmalgewohnten Venezianer wählen, um vernünftig mit historischer Bausubstanz umzugehen. Das schaffen Deutsche offenbar nicht.“ Schließlich wird mit der Wiederrichtung des Schlosses der zentrale Platz der deutschen Hauptstadt wieder in sein Recht gesetzt: sowohl durch die Architektur wie durch den Schloßkörper selbst, der die räumlichen Bezüge zur historischen Mitte wiederherstellt. Nach den Worten der CDU Bundestagsabgeordneten Monika Grütters wird dadurch endlich „die empfindlichste städtebauliche Lücke der Bundesrepublik geschlossen“. Deutschland könne mit der kommenden Nutzung beweisen, „daß es mit diesem Projekt um das nationale Selbstverständnis im 21. Jahrhundert geht“. Befremdlich klingt in diesem Zusammenhang ihre Freude darüber, daß der Sieger aus Italien kommt. Grütters wörtlich: „Das steht uns gut zu Gesicht, gibt dem Projekt eine internationale Note.“ Ebenso deplaziert klingt eine Äußerung von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD), mit der dieser unmittelbar nach dem Entscheid in der Tagesschau zitiert wurde: Es biete dereinst eine „wunderbare Möglichkeit, außereuropäischen Kulturen zu begegnen“ — sprich: Indianerzelten, aztekischen Götterfiguren, japanischer Volkskunst oder Kanus aus Tonga. Nicht minder fragwürdig ist die geplante Unterbringung eines Teils der Berliner Landesbibliothek, die hierdurch künftig auf drei Standorte verteilt wäre, anstatt zentral zusammengeführt zu werden. Sinnvoller wäre es, wenn die politische Öffentlichkeit über eine legislative oder exekutive Teilnutzung des einstmaligen Machtzentrums nachdächte, beispielsweise als Empfangsraum. Der Publizist und Verleger Andreas Krause Landt brachte es dieser Tage auf den Punkt: „Die Nutzungsidee drängt von innen nach außen, die Rekonstruktionsidee von außen nach innen. Die Diskussion wird weitergehen.“ Das wäre nichts Neues für Berlin, gibt es doch zahlreiche Beispiele einer späteren Umnutzung. Gleichwohl ist es geradezu paradox, daß der politische Wille zum Wiederaufbau des Schlosses gebunden war an das sogenannte Humboldt-Forum, eine Kompromißformel, die — so Landt — „noch aus der alten Nachkriegsidentität“ komme und die Schloßidee „mit den Grundsätzen der Political Correctness kompatibel gemacht“ habe. Schlüter und Eosander haben mitgebaut Mit der Jury-Entscheidung ist auch das Los gefallen für die in der Ausschreibung offene Gestaltung der Ostfront. Aus traditioneller Sicht wäre hier eine Wiederherstellung des Renaissanceflügels mit Grünem Hut und Hofapotheke zu wünschen gewesen. Dennoch ist es ein Sieg: zum einen über das Erbe des Palasts der Republik, an den künftig nichts mehr erinnern wird, zum anderen über eine Stahl-und Glas-Moderne à la Günter Behnisch, für den sich die demokratische Funktion eines Gebäudes allen Ernstes an der Transparenz seiner Fassaden manifestierte — der von ihm entworfene Sitz der Akademie der Künste am Pariser Platz ist ein hinreichend abschreckendes Beispiel. Indes greift Stellas Entwurf der Ostseite als Rasterfassade mit ihren drei Loggia-Reihen in sich zurücknehmender Weise das barocke Gesamtkonzept auf. Es ist eine wohl nicht zufällig an Palladio geschulte Sensibilität. Demutsvoll äußerte der Sieger denn auch, daß an seinem Entwurf Schlüter und Eosander „mitgebaut“ hätten. Er betrachte es eher als einen Weiterbau.