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Dylan ist ein anderer

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Dylan ist ein anderer

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Mit Bob Dylans Stimme ist das so eine Sache. Es gibt Menschen, die geraten in Verzückung vor lauter ungeschliffenen Diamanten. Es gibt andere, die packt das kalte Grausen. An Todd Haynes’ Film dürften sich die Geister ähnlich scheiden.

Der postmoderne Jargon, dessen sich die Kritik befleißigt, sollte indes niemanden von einem Kinobesuch abschrecken. Von fragmentarischer Identität ist da die Rede, vom Subjekt als Konstrukt, von Gender und Androgynität, Performanz und Inszenierung, von der Ambivalenz jeder Negation: „Ich bin (nicht) da“, das eine läßt sich nicht sagen, ohne das andere mitzusagen.
Zunächst ist „I’m not there“ jedoch ein klassischer Episodenfilm, der sechs Geschichten verzahnt.

Um ihm zu folgen, braucht man Paul Ricœurs hermeneutisches Standardwerk „Das Selbst als ein Anderer“ nicht zu kennen. Man muß auch nicht wissen, daß der Satz „Ich ist ein anderer“ von dem französischen Dichter Arthur Rimbaud (1854–1891) stammt. Grundkenntnisse in der Dylanologie indes erhöhen das Vergnügen am Kinobesuch beträchtlich, zur Vorbereitung empfiehlt sich Martin Scorseses „No Direction Home“ (2005).

Schlüsselmotive der Überlieferung

Für orthodoxe Exegeten zitiert Haynes Schlüsselmotive der Überlieferung: den Besuch an Woody Guthries Totenbett; den Abfall vom wahren Folk-Glauben beim Newport Folk Festival mitsamt jener seither von der Metapher zur Requisite gewordenen Axt, die Pete Seeger gerne zur Hand gehabt hätte; den „Judas!“-Ruf in der Manchester Free Trade Hall; den Motorradunfall; seine Jahre in der Wildnis; die Bekehrung zum Christentum (der die Welt die Offenbarung verdankt, daß Dylan auch grottenschlechte Songs schreiben kann).

Ein wissendes Raunen geht durch den Kinosaal, wenn Alice Fabian (Julianne Moore) sich erinnert, wie sie den jungen Möchtegern-Guthrie Jack Rollins (Christian Bale) in die Folkszene von Greenwich Village einführte: Aha, Joan Baez!

Für den Soundtrack freilich gilt: „I’m not there“. Mit einer einzigen Ausnahme, einem Bootleg des Titelstücks, besteht er aus Dylan-Interpretationen zumeist neuerer Bands. Von The Hold Steady über Antony & the Johnsons, Calexico, Cat Power und Sufjan Stevens oder Jack Johnson bis zu Yo La Tengo ist hier vieles vertreten, was derzeit Rang, Namen und Talent hat.

Auf Güterzügen kreuz und quer durchs Land

Vor allem aber ist Haynes zu den Quellen gegangen, zum Werk, das Gemütslagen stets als Befunde über den Zustand oder doch das Erscheinungsbild der Welt ernst nimmt. Sein Film, so die geglückte Formulierung, sei „inspiriert von“ Dylans Leben (hier immer ausdrücklich im Plural) und Musik.

Ein schwarzer Blues-Musiker namens Woody (Marcus Carl Franklin) vagabundiert auf Güterzügen kreuz und quer durchs Land. „This machine kills fascists“, ist in den Gitarrenkoffer des altersweisen Elfjährigen eingeritzt – genau wie es ein weißer Protestsänger namens Woody einst von seiner akustischen Wunderwaffe behauptete.

Ein hochmütiger Jüngling (Ben Whi­shaw), der sich anscheinend nach ebenjenem Rimbaud nennt, muß Rechenschaft über Sinn und Zweck seiner Kunst ablegen. Wie von einer Überwachungskamera gefilmt, erteilt er verrätselte Antworten auf rätselhafte Fragen: Versatzstücke aus Interviews von 1965, die ihm das Drehbuch in den Mund legt. Pressekonferenz oder Kreuzverhör? Als erwiesen kann nur gelten: Dylan ist ein anderer.

Banale Boulevard-Geschichte

Ist er etwa Robbie Clark (Heath Ledger), dem sein plötzlicher Ruhm zu Kopfe steigt, nachdem ihn die Rolle des Jack Rollins in einem angesagten Untergrundfilm zum Star katapultierte? An der banalen Boulevard-Geschichte dieses doppelt verfremdeten Dylan führt Haynes paradigmatisch das Scheitern einer Ehe vor, ohne die Tabus zu brechen, mit denen der Musiker sein Liebesleben bewehrt hat. (Bemerkenswert eigentlich, daß bis heute, wo das Private zwar nicht mehr politisch, sondern nur noch öffentlich ist, ein Urheber- oder zumindest Prozeßrecht auf die eigene Lebensgeschichte gilt.)

Dabei ist die Ähnlichkeit zwischen Charlotte Gainsbourg, die Robbies Frau Claire spielt, Sara Dylan und der auf dem Plattencover von „The Freewheelin’ Bob Dylan“ (1963) verewigten New Yorker Freundin Suze Rotolo frappierend – deutlicher zumal als zwischen Dylan und seinen sechs Avataren.

Indes dürfen Gender-Skeptiker aufatmen: Cate Blanchett spielt Dylan, der diesmal Jude Quinn heißt, nicht als Frau, sondern als Hosenrolle, als quecksilbrigen Kobold, wie man ihn aus „Dont Look Back“ kennt. Schwarzweiß wie schon die Rimbaud-Sequenz, ist das Herzstück von Haynes’ Film halb Parodie, halb Hommage an D. A. Pennebakers Doku von 1967.

Hoch zu Roß inmitten des karnevalesken Treibens
 
In der Wildwest-Stadt Riddle geht es derweil zu wie in den allerschönsten Dylan-Songs. Zum öffentlichen Spektakel, ob Maskenball oder Hinrichtung, geben sich allerlei schräge Vögel ein Stelldichein. Hoch zu Roß inmitten des karnevalesken Treibens scheint Richard Gere nicht recht zu wissen, was er hier soll oder warum der greise Fiesling Pat Garrett (Bruce Greenwood) ihn nicht in Frieden läßt.

Haynes’ Film beginnt auf dem Seziertisch und trägt doch weniger zum Verständnis als zur Mythifizierung bei. Getreu seinem Titel handelt er schließlich von einem Abwesenden. Wer Bob Dylan (geschweige denn Robert Zimmerman) ist, weiß er nicht. Um so schlüssiger wird geschildert und bebildert, wie sich „Bob Dylan“ zur Schau stellt: von den Rollen, die er sich auf den Leib schrieb, so daß die Haut, die er zu Markte trug, nie die eigene war.

Nur jener Dylan, der ganz zum Schluß, als alle Geschichten schon erzählt sind, so versunken Mundharmonika spielt, der ist womöglich doch kein anderer.

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