Anzeige
Anzeige
ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

„Eine deutsche Tragödie“

„Eine deutsche Tragödie“

„Eine deutsche Tragödie“

 

„Eine deutsche Tragödie“

Anzeige

Herr Schön, ohne Sie hätte es den ZDF-Zweiteiler „Die Gustloff“ nicht gegeben, so der verantwortliche Produzent Norbert Sauter.

Schön: Wenn mich Überlebende der ebenfalls versenkten Flüchtlingsschiffe Steuben oder Goya ansprechen, das Schicksal der Gustloff sei so bekannt und das ihrer Schiffe nicht, antworte ich immer, das liege nicht daran, daß auf der Gustloff noch einmal 2.000 Personen mehr umgekommen sind als auf der Goya, sondern daran, daß sich nach dem Krieg keiner um die Aufarbeitung der Geschichte der Schiffe gekümmert hat.

Im neuen Film kommt Ihre Figur sogar vor.

Schön: Ja, etwa bei Minute vierzig führt die Hauptfigur des Films ein kurzes Gespräch mit dem Schauspieler, der mich spielt. Die Szene wurde zum Dank für meine Mithilfe gedreht und hat mich natürlich gefreut.

Sie sind mit dem Ergebnis zufrieden?

Eindrucksvolle Untergangsszenen

Schön: Ich sehe den Film natürlich aus der Perspektive eines Überlebenden der Gustloff-Katastrophe, und als solcher bin ich den Machern des Films unendlich dankbar.

Warum?

Schön: Weil sie sich des Themas überhaupt so angenommen haben. Der Film ist mit großem Aufwand an Ausstattung, Statisten, erstklassigen Schauspielern und Trickeffekten gedreht. Vor allem die Untergangsszenen sind sehr eindrucksvoll und zeigen deutlich, daß hier Krieg gegen Frauen und Kinder geführt wurde.

Der Film wirkt allerdings eher wie ein Liebe-und-Schmerz-Drama vor dem Hintergrund des Gustloff-Untergangs, statt die Tragödie an sich in den Vordergrund zu rücken.

Schön: Ein solcher Film braucht natürlich dramatische Elemente, die die Zuschauer bei der Stange halten.

Liebesgeschichte inklusive

In einem früheren JF-Interview äußerten Sie über die erste Gustloff-Verfilmung „Nacht fiel über Gotenhafen“ aus dem Jahr 1959: „Die Rahmenhandlung – eine Liebesgeschichte – habe ich immer abgelehnt.“

Schön: „Nacht fiel über Gotenhafen“ war ein neunzigminütiger Kinofilm. „Die Gustloff“ ist ein dreistündiger Fernsehfilm. Der Film hat also genug Zeit für eine Liebesgeschichte und das Thema des Gustloff-Untergangs. Außerdem sehen einen TV-Film, anders als einen Kinofilm, nicht nur interessierte Zuschauer.

Er muß es daher schaffen, auch „auf Probe“ einschaltende Zuschauer zu binden – und gerade die, darunter viele junge, nicht per se an Zeitgeschichte interessierte Leute, wollen wir ja für das Thema gewinnen! Außerdem muß er als Zweiteiler mit einer vierundzwanzigstündigen Unterbrechung kämpfen: Die Zuschauer müssen dazu gebracht werden, auch den zweiten Teil – der ja erst die eigentliche Tragödie zeigt – einzuschalten. Deshalb muß man Konzessionen machen.

Sie haben 1959 bereits die erste Verfilmung beraten. Wieso waren Sie nicht zufrieden?

„Weniger bedeutungsschwer“

Schön: Was das Dokumentarische betrifft, war „Nacht fiel über Gotenhafen“ ganz hervorragend, aber Regisseur Frank Wisbar hat eigentlich weniger die Gustloff-Tragödie an sich als ein Thema für einen Anti-Kriegsfilm im Sinn gehabt. Der neue Film handhabt das Thema weniger bedeutungsschwer, sondern versucht, das Geschehen im Rahmen eines Unterhaltungsfilms zu vermitteln. Damit ist er wesentlich eingängiger für ein großes Publikum.

Es fällt auf, daß die deutschen Soldaten – bis auf Korvettenkapitän Leonberg – durchweg negativ, nämlich als Bedrohung für die deutschen Flüchtlinge dargestellt werden.

Schön: Wenn Sie „deutsche Soldaten“ sagen, verallgemeinern Sie. Gezeigt werden Angehörige der Feldgendarmerie. Deren Aufgabe war es, die wehrtauglichen jungen Männer auszusortieren. Auch die verhängnisvolle Rolle, die der Kommandeur der II. Abteilung der 2. U-Boot-Lehrdivision spielte, ist nicht grundsätzlich falsch dargestellt. Korvettenkapitän Leonberg dagegen war in der Tat ein außergewöhnlicher Mann: Er verkörperte einen deutschen Offizier im besten Sinne und war wirklich bemüht, die Gustloff zu retten.

<---newpage--->
„Heldentat der deutschen Marine“

Die Hauptfigur des Films, der zivile Kapitän, liefert sich ein psychologisches Duell mit seinem zynischen Bruder, einem Kapitän der Kriegsmarine. Eine volkspädagogische „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Konstruktion: gute, zivile Deutsche hie, böse, militärische Deutsche da?

Schön: Das ist Ihre Auslegung. Der böse Bruder ist jedenfalls eine reine Erfindung des Drehbuchs. Was mich aber in der Tat ärgert, bis heute wird in der breiten öffentlichen Darstellung verschwiegen, daß die deutsche Kriegs- und Handelsmarine 2,5 Millionen Deutsche über die Ostsee gerettet haben.

Eine enorme humanitäre Leistung! Und ein im ganzen erstaunlich erfolgreiches Unternehmen. Denn die Zahl der Umgekommen ist mit etwa 40.000 – so schrecklich sie immer noch ist – in Anbetracht der Gesamtzahl der Geretteten und der damaligen Kriegslage eher gering.

Wie erklären Sie sich dieses Tabu?

Schön: Offenbar widerspricht so etwas der politischen Korrektheit. Die Wehrmacht und damit auch die Marine gilt heute ja gemeinhin meist nur noch als „Hitlers Kriegsmaschine“, und da passen Heldentaten nicht ins Bild. Am Ende würde das vielleicht noch positiv auf Großadmiral Dönitz abfärben! Nicht zuletzt liegt es vielleicht auch daran, daß die Frage nach den deutschen Opfer im Zweiten Weltkrieg heute auf die Formel reduziert wird: Selbst schuld, auf uns fiel nur zurück, was wir angefangen haben.

In „Die Gustloff“ ist das allerdings nicht anders. Und damit es auch noch der Letzte kapiert, wird dies gleich an drei Stellen explizit deutlich gemacht.

Schön: Das ist ärgerlich, aber im ganzen zeigt der Film doch das Gegenteil: nämlich wie Deutsche zu Opfern werden.

Fehlentscheidungen der Kapitäne

Der Film betont auch die Schuld der deutschen Verantwortlichen, während die das Schiff torpedierenden Sowjets nur am Rande vorkommen.

Schön: Die gezeigten Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Offizieren haben grundsätzlich tatsächlich stattgefunden, und die Fehlentscheidungen der deutschen Kapitäne, die die Tragödie erst möglich gemacht haben, sind tatsächlich so gefallen. Aber Sie haben recht, nach der Verantwortung der Russen wird kaum gefragt. Allerdings ist das auch nicht Aufgabe dieses Filmes.

Zwar war die Versenkung der Gustloff kein Kriegsverbrechen, weil sie kein reines Zivilschiff war, aber daß die Russen ebenso auf eine Zivilschiff gefeuert hätten, weil sie damals einfach auf alles schossen, das wird leider nicht thematisiert. Bis heute gilt der verantwortliche U-Boot-Kapitän Marinescu, der vor allem Frauen und Kinder getötet hat, in Rußland als großer Held und wird dort immer wieder aufs neue geehrt. Titel des jüngsten Dokumentarfilms über ihn: „Marinescu, der Nächste nach Gott“.

Der örtliche NSDAP-Ortsgruppenleiter wird im Film als oberschmieriger Klischee-Nazi gezeigt.

Schön: Im Film läuft er ständig in Uniform herum, was den Eindruck vermittelt, er sei ein wichtigtuerischer und von der Partei bezahlter hauptberuflicher Tunichtgut gewesen. Tatsächlich war der Mann Leiter der Bordwäscherei und Ortsgruppenleiter nur im Ehrenamt. Ich habe ihn in einem ganzen Jahr vielleicht ein- oder zweimal in Uniform gesehen.

<---newpage--->
„Ein mysteriöser Funkspruch – wurde die Gustloff verraten?“


Obendrein läßt ihn der Film mit Alkohol und Mädchen feiern, während vor der Tür die Flüchtlinge aus Ostpreußen unter freiem Himmel erfrieren.

Schön: Ebenso wird im Film gezeigt, wie er den Festsaal der Gustloff für Flüchtlinge sperren lassen will, um dort den Geburtstag des Namespatrons des Schiffs, des 1936 erschossenen Parteigenossen Wilhelm Gustloff, zu feiern. Davon ist mir nichts bekannt.

Tatsächlich war der Mann mit seiner Wäscherei voll beschäftigt, wo auch die Wäsche der Flüchtlinge gewaschen wurde. Ich habe den Drehbuchautor Rainer Berg auch gefragt, was das soll. Antwort: Er wolle mit dieser Szene dem Zuschauer erklären, woher der Name Wilhelm Gustloff kommt.

Glauben Sie das? Geht es nicht offensichtlich um Denunziation?

Schön:
Das alles ist sehr unglücklich gelungen und provoziert Fehldeutungen.

Ich bitte Sie – am Ende flieht der Mann mit nichts als einem „Führer in Öl“-Gemälde unterm Arm ins Rettungsboot. Das ist doch grotesk.

„Denunziation war mit Sicherheit nicht seine Absicht“

Schön:
Ich finde das auch überspitzt, aber ich kenne den Drehbuchautor ja nun persönlich, Denunziation war mit Sicherheit nicht seine Absicht.

Im Film liefert ein Verräter an Bord die Gustloff „ans Messer“. Was hat es damit auf sich?

Schön: Tatsache ist, daß auf der Brücke der Gustloff ein Mann mit einer Meldung erschien, die uns veranlaßte, bei Nacht Positionslichter zu setzen, was dem sowjetischen U-Boot unsere Torpedierung erleichterte. Allerdings wäre der Beschuß auch ohne diese  Maßnahme früher oder später erfolgt. Ein Geheimnis bleibt, woher der Mann mit der Meldung kam.

Denn der Funkspruch, der ihr angeblich zugrunde liegen sollte, ging, wie wir später herausgefunden haben, tatsächlich nie in der Funkstation der Gustloff ein, und der Leiter der Funkstation hat auch nie jemanden mit einer solchen Meldung zur Brücke geschickt. All das bleibt ein Mysterium.

Sie empfehlen also, auf jeden Fall den Film am Sonntag- und Montagabend nicht zu verpassen?

Schön: Ja, unbedingt! Denn ich glaube, es ist trotz allem ein großer und ein mutiger Film. Nicht zuletzt deshalb, weil er auch stellvertretend steht für all das unerzählte Leid, das so viele Deutsche damals durchleben mußten – es ist eine deutsche Tragödie.

Heinz Schön entriß das Schicksal des deutschen Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff, das am 30. Januar 1945 mit über 10.000 Menschen an Bord von einem russischen U-Boot versenkt und zur größten Schiffskatastrophe der christlichen Seefahrt wurde, dem Vergessen. Schön war einer von 1.252 Überlebenden.

Geboren 1926 in Jauer in Schlesien, trat er 1943 in die Handelsmarine ein und wurde im Dezember 1944 Zahlmeister-Assistent – was einem Fähnrichsrang entspricht – und 4. Offizier auf der Gustloff. Nach dem Krieg recherchierte er den Fall unermüdlich, baute das „Gustloff-Archiv“ auf, wirkte an verschiedenen TV-Dokumentationen zum Thema mit, beriet die Dreharbeiten zu zwei Gustloff-Spielfilmen und veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter „SOS Wilhelm Gustloff. Die größte Schiffskatastrophe der Geschichte“ (Motorbuch Verlag, 1998) und „Die Gustloff-Katastrophe. Bericht eines Überlebenden“ (Motorbuch Verlag, 2002).

Außerdem stützte sich Günter Grass für seine 2002 erschienene Gustloff-Novelle „Im Krebsgang“ auf die Arbeit Schöns. Jüngst erschien sein drittes Buch zum Thema: „Die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff“ (Motorbuch Verlag, 2007).

Eindrucksvoll berichtete Heinz Schön bereits in früheren JF-Interviews über den Fall Gustloff und seine traumatischen Erlebnisse in der Nacht des Untergangs. Lesen Sie mehr in zwei weiteren Gesprächen mit der Jungen Freiheit (49/01 und 08/02).

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.