Es mag am Streik der Berliner Verkehrsbetriebe gelegen haben, daß der Große Saal der Berliner Philharmonie am Abend des vierten Konzerts der thematischen Reihe „Von deutscher Seele“ nur mäßig gefüllt war, am Programm lag es nicht. Liszts Symphonische Dichtung Nr. 3 „Les Préludes“ und Beethovens Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67 sollten den „Ernsten Gesängen“ Hanns Eislers zu seiten stehen. Die Aussicht auf „der Drommete Sturmsignal“ verführte zu pünktlichem Erscheinen, die Vorfreude auf das Schicksal, das an die Pforte klopfte, ließ an vorzeitigen Aufbruch gar nicht erst denken, und der Name des Baritons und Weltstars Matthias Goerne bürgte dafür, daß der Sozialistische Realismus des Mittelstücks nicht so heiß gegessen würde, wie er gekocht wurde. Gab die Ansetzung von Symphonischer Dichtung und Symphonie dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, am 2. Oktober vorigen Jahres zu der Frage Anlaß, „wessen Geistes Kind der neue Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin ist“, so hatte der sie mit Verklingen des allerletzten der letzten Akkorde der Siegessymphonie auch schon erschöpfend beantwortet: Der Abend hätte niemanden zum Sozialisten oder Nationalsozialisten machen können, der es nicht bereits gewesen wäre. Er war vielmehr von durchschlagender Wirkungslosigkeit, aber am Programm hatte es wieder nicht gelegen. Chefdirigent Ingo Metzmacher rüstet Liszts vermeintliche Durchhaltefanfare zur Stimmungskanone um und treibt den Vorspielen – „Les Préludes“ – alle Transzendenz aus. Aber Vorspiele wozu, außer zu einem anregenden Konzertabend? Das Programm nach Lamartines „Méditation poétique“ hat Liszt der ursprünglich als Einleitungsmusik zu einem Chorwerk auf Gedichte von Joseph Autran über die vier Elemente konzipierten Musik ebenso nachgeschoben wie sein Vorwort zur Partitur. Metzmacher stellt die eigenartige Beziehung des Heroischen zum Lyrischen aus Liszts Partitur nicht her: das Lyrische als das Heroische in Wartestellung, die Nebenthemen als die Kraftwerke, die dem heroischen Hauptthema Energie zuführen, und weicht also der unerledigten Frage aus, inwieweit ihr Mißbrauch lediglich in mißdeutender Rezeption, inwieweit er in ihr selbst begründet ist – eine Frage, die an Beethovens Fünfte so nie gestellt wurde und wird. An der Fünften scheint aller Mißbrauch abzuperlen, als wäre sie teflonbeschichtet. Unter Metzmacher klingt sie wie frisch gespült. Details wie die Kadenz der Oboe, die Wechselrede der Instrumentengruppen bezeugen, daß ein spezifischer Orchesterklang in Arbeit ist, das dünne und fade Piano des groß- bis überbesetzten Streicherkörpers, die ungeschlachten Tutti-Ausbrüche des Orchesters, die fehlende Binnenspannung, daß die Arbeit noch lange nicht am Ziel. So bleibt vom Konzert nur jenes Werk im Gedächtnis haften, das nicht mißbraucht wurde und nicht zu mißbrauchen war, Hanns Eislers sieben ernste Gesänge auf Texte von Hölderlin, Viertel, Leopardi, Richter und Hermlin, Schwanengesang einer deutschen Seele, die sich dem Kommunismus verschrieben hatte, von dem sie trotz aller Enttäuschungen nicht lassen konnte, in altem und neuem Exil, nach XX. Parteitag der KPdSU, nach Brechts Tod und nach der unsäglichen Faustus-Debatte, die zum Abbruch von Eislers Opernprojekt geführt hatte. Offensichtlich leicht erkältet, war Matthias Goerne mehr mit Klang- denn mit Sinngebung befaßt. Dem Wunsch des Komponisten, der Sänger möge sich bemühen, durchweg freundlich, höflich und leicht zu singen, kam für diesmal allein das Streichorchester nach, das jedoch von Goernes pastos aufgetragener Stimme weitestgehend zugedeckt wurde. Mit so ungebrochen spätromantischer Attitüde sollte man auch Brahms‘ „Ernste Gesänge“, auf die sich der Titel von Eislers letztem Werk bezieht, heute nicht mehr singen – wiewohl gefeiert, eine glatte Fehlinterpretation, aber auch eine wunderschöne. „Ich bin einverstanden damit, daß meine Kunst Zwecke hat.“ Den berühmten Ausspruch der Kollwitz hätten Beethoven, Liszt und Eisler gewiß unterschrieben. Die Diskussion um den Mißbrauch von Musik wird zu Spiegelfechterei, wenn sie gar nicht in Gebrauch ist. Was nicht gehört wird, kann nicht falsch gehört werden. Die Initiativen des Deutschen Symphonie-Orchesters und seines Chefdirigenten zur Popularisierung der klassischen und zeitgenössischen Musik, der paper music, wie zur Aufhebung des Konzerts als Kulturform, drohen ins Leere zu gehen, wenn sie sich und uns den Stücken nicht schonungslos aussetzen. In Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur wurde nach dem Wiederholungskonzert erstmalig eine „Brennstraße“ angeboten, die Möglichkeit, direkt nach dem Konzert die Live-Mitschnitte von „Les Préludes“ und Beethovens Fünfter in der Interpretation des DSO auf CD gebrannt zu erhalten. Warum gerade in dieser? Foto: Dirigent Metzmacher
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