Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat Irritationen ausgelöst mit seinem Räsonieren darüber, wie weit der Staat in der Wahrnehmung seiner Aufgabe gehen darf, die öffentliche Sicherheit zu schützen. Nachzuvollziehen ist die Kritik vieler Kommentatoren allerdings nicht. Offenkundig führen sie alle sich nicht vor Augen, wie unwahrscheinlich es ist, daß ein mit dem Schutz der Verfassung beauftragter Minister zentrale Grundsätze derselben unter Berufung auf höhere Rechtsgüter in Frage stellt. Wäre es anders, hätte die Bevölkerung sicher bereits von ihrem Widerstandsrecht gemäß Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes Gebrauch gemacht. Derartiges war in den vergangenen Tagen jedoch nicht zu beobachten. Auch die konkreten Äußerungen Schäubles stützen keineswegs die Behauptung, er strebe eine Überwindung des nicht mehr als zeitgemäß erachteten Rechtsstaates an. An der Faustregel, daß der Staat einen Delinquenten bis zu seiner Verurteilung sozusagen als unschuldig betrachten solle, wird nicht explizit gerüttelt. Aus der Sicht des Ministers ist solches nämlich auch gar nicht notwendig: Ein Täter, dessen die Sicherheitsbehörden habhaft geworden sind, kann keinen Schaden mehr anrichten, mag er nun offiziell als schuldig gelten oder nicht. Die Logik in der Gefahrenabwehr, und allein darauf wollte Schäuble hinweisen, ist aber eine andere. Birgt eine Freiheit das Risiko, daß aus ihrem Mißbrauch eine Bedrohung erwachsen könnte, so ist sie für alle gleichermaßen einzuschränken, weil man die wenigen, die etwas Böses im Schilde führen mögen, ja nicht von vornherein kennt. Die Herangehensweise, auch die Mehrheit der Unbescholtenen einem Verdacht auszusetzen, welcher sich nur bei einigen schwarzen Schafen bestätigt, dürfte von den Bürgern gar nicht als ungewöhnlich empfunden werden: So sind ja nur wenige Menschen wirklich ausgewiesene Trinker. Um sie vom Autofahren im Alkoholrausch abzuschrecken, werden aber Verkehrskontrollen durchgeführt, die auch jene zum Anhalten zwingen, die frei von diesem Laster sind. So ähnlich hat man sich die Abwehr terroristischer Bedrohungen vorzustellen. Alle Menschen werden mißtrauisch beobachtet und mitunter auch drangsaliert, um die wenigen herauszufischen, die diese Behandlung verdienen. Diese unfreundliche Behandlung durch den Staat braucht niemand als Demütigung zu empfinden. Im Gegenteil: Der Verdacht, unter der Maske des harmlosen Bürgers könnte sich ein so richtig eiskalter Typ verbergen, sollte doch eigentlich das Selbstwertgefühl eher steigern.