Bundestagspräsident Norbert Lammert ist in das Visier der Boulevardpresse geraten. Die Bild-Zeitung wirft dem protokollarisch zweiten Mann im Staate vor, als Aufsichtsratsmitglied des Großkonzerns RAG 25.000 Euro im Jahr zu klassieren. Dies hält das Blatt für unvereinbar mit der vermeintlichen Würde seines hohen Amtes. Die Attacke gegen Lammert ist nur eine von vielen, deren sich die deutschen Volksvertreter derzeit zu erwehren haben. Man mokiert sich über die Höhe ihrer Diäten und deren gelegentliche Anpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten. Man will ihnen ihre mühsam erworbenen und keineswegs ganz aus dem Rahmen fallenden Pensionsansprüche verleiden. Und man möchte ihnen zu allem Überfluß auch noch die Freude an interessanten Nebenbetätigungen nehmen und prangert jene mutigen Abgeordneten an, die gegen die Pflicht zu deren Offenlegung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Demokratie wird durch giftige Kampagnen wie diese weder erneuert noch gestärkt. Sie sind aber nicht bloß unverantwortlich, sondern auch in der Sache verfehlt. Parlamentarier stehen unter einem Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, den sonst nur Fußballprofis auszuhalten haben. Ihre Jobgarantie erstreckt sich immer nur auf eine Legislaturperiode. Die Fülle ihrer Aufgaben und die Schwere der Verantwortung für sehr viele Menschen stellen alles in den Schatten, was Managern selbst der allergrößten Unternehmen aufgebürdet ist – die aber ohne moralische Verpflichtung irgend jemandem gegenüber für weniger Leistung ein ungleich höheres Salär einstreichen. All dies sollte Respekt einflößen und davon abhalten, den Sozialneid ausgerechnet an strukturell unterbezahlten Abgeordneten auszuleben. Auch das Argument, die Parlamentarier dürften sich selbst von Einschnitten in das soziale Netz nicht ausnehmen, sticht nicht. Niemand wird dadurch ein besserer Abgeordneter, daß er die Nöte der Bürger am eigenen Leibe erfährt. Im Gegenteil: Mit Blick auf das eigene Auskommen könnten Volksvertreter geneigt sein, notwendige Reformen zu unterlassen. Persönliche Interessen gerieten in einen Konflikt mit dem Gemeinwohl. Zudem ist Zukunftsangst bekanntermaßen ein schlechter Ratgeber für politische Entscheidungen, dies beweist nicht zuletzt das irrationale Stimmverhalten so vieler Wähler. Die Abgeordneten dürfen sich davon nicht anstecken lassen. Sie haben vielmehr die Pflicht, sich dagegen zu immunisieren.