Am 6. Juni hat Claudia Schiffer in der Deutschen Botschaft in London eine neue Werbekampagne präsentiert. Sie zeigte ein Plakat, darauf sie selbst, lang hingestreckt, nur verhüllt durch eine Fahne in den Farben Schwarz-Rot-Gold, im Hintergrund der Slogan „Invest in Germany, boys“. Das paßt zur neupatriotischen Tendenz, die man gegenwärtig beobachten kann, und verknüpft Vaterlandsliebe lässig mit wirtschaftlichem Interesse. Claudia Schiffer hat aber auch darauf hingewiesen, daß sie den Umgang mit Nationalsymbolen für normal halte, ebenso normal wie die Loyalität gegenüber dem eigenen Land. Nach dem Vorbild der Engländer, die überall das Georgsbanner hißten, solle man in Deutschland schwarz-rot-gold flaggen, einfach weil das „cool“ sei. Besonderer Anstrengung bedarf es nicht mehr, die Deutschen davon zu überzeugen. Im Farbenrausch der Fußballweltmeisterschaft wurde alles und jedes schwarz-rot-gold dekoriert, von den Wangen der Vorschulkinder bis zum Gesamtkörper der erwachsenen Fans, vom dezenten Anstecker bis zu den phantastischen Kopfbedeckungen in der Arena, vom Schweißtuch bis zu den Badeshorts, vom Bleistift bis zu den give aways der Schnellimbißketten. Die Flaggenproduzenten erlebten eine nie gekannte Nachfrage und mußten – wenigstens was die begehrten Autofähnchen betraf – Lieferschwierigkeiten melden. Rechtliche Hinweise, daß die Bundesdienstflagge, also Schwarz-Rot-Gold mit dem aufgelegten Adlerwappen, nur von Behörden verwendet werden dürfe, gingen im allgemeinen Trubel unter. Angesichts der heiteren Stimmung interessiert sich kaum jemand für das Anliegen des Verteidigungsministers, der ein Ehrenmal für die gefallenen beziehungsweise im Dienst getöteten Bundeswehrsoldaten errichtet sehen möchte. Aber schon Ende des Jahres wird die Gedenkstätte im ehemaligen Bendlerblock fertiggestellt sein. Das „ehrende Gedenken“ gehöre, so Minister Jung, zur „kulturellen Identität“ jedes Volkes. Welches Schicksal auch immer dem Denkmalsplan beschieden sein wird, jedenfalls bringt er einen anderen Aspekt der politischen Symbolik zur Geltung als den fröhlich-bunten. Denn sowenig Patriotismus als Trend aufgefaßt werden kann, sowenig geht politische Symbolik im rebranding einer Marke auf. Selbstverständlich spielen Vermarktungsstrategien für die Durchsetzung politischer Symbole immer eine Rolle. Von den Kokardenverkäufern der Französischen Revolution über die gewieften Metallgußunternehmer, die die Marianne populär machten, bis zu den amerikanischen Fahnenproduzenten, die zur Absatzmehrung des Sternenbanners am Ende des 19. Jahrhunderts einen eigenen „Flaggentag“ kreierten, gab es zahllose Beispiele für die Koppelung von Ökonomie und politischen Demonstrationsmitteln. Aber es blieb dabei doch immer deutlich, daß es um mehr geht als um neue Logos. Das hat sich erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geändert, was mit der Krise des Nationalen selbst zusammenhängt, aber auch mit der Diskreditierung der politischen Symbolik. Bestenfalls wollte man sie als Kommunikationsmittel verstehen, betrachtete sie vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Gefährlichkeit, die sich in den totalitären Bewegungen gezeigt hatte, und hoffte auf einen sukzessiven Bedeutungsverlust. Diese Erwartung hat aber getrogen. Zwei Vorgänge waren dafür maßgeblich: Der Zerfall des kommunistischen Machtbereichs, der zur Entstehung zahlloser neuer oder zur Wiederkehr alter politischer Symbole führte, und der Aufstieg des Islamismus, der eine bisher unbekannte Art von politischen Symbolen erzeugte, die nur formal, aber nicht in bezug auf die Aussage, an westlichen Vorbildern orientiert sind. Wenn ein Symbol ein Etwas ist, das etwas anderes vertritt, dann ist ein politisches Symbol ein Etwas, das eine politische Aussage vertritt. Als politisches Symbol kommt vieles in Frage, von den traditionellen Herrschaftszeichen wie Krone und Insignie über Wappenbilder und ähnliche Signets, Namen, Melodien, kanonische Texte, historische Personen, Allegorien, Monumente, Gebäude, Erinnerungsorte und Landschaften. Von besonderer Bedeutung sind allerdings die optischen Symbole und unter denen die, die man mit relativ einfachen Mitteln reproduzieren kann. Für lange Zeit waren politische Symbole von religiösen oder militärischen nicht klar zu trennen. Das änderte sich erst im Europa des 16. Jahrhunderts. Mit der Säkularisierung entstanden die politischen Symbolfamilien, die bestimmte Weltanschauungen als Ausdruck ihres Selbstverständnisses nutzten. Die ursprüngliche Verbindung zum Religiösen wie zum Militärischen konnten sie aber nie vollständig lösen. Die Vorstellung, daß die Fahne Sinnbild eines „Glaubens“ und „mehr als der Tod“ sei, war jedenfalls nicht nur der politischen Rechten geläufig – daß die Feuerwehrmänner auf dem Schutt der zerstörten Zwillingstürme das Sternenbanner nach dem Muster der Flaggenhissung auf Iwo Jima errichteten, spricht genauso für diesen Zusammenhang wie die öffentliche Verbrennung der dänischen Flagge während des Streits um die Mohammedkarikaturen. Man ist hier von der eingangs erwähnten Lässigkeit denkbar weit entfernt, aber der Sache selbst näher. Denn wie die Politik ist auch die politische Symbolik vom agonalen Prinzip bestimmt. Das erklärt den Appellcharakter aller echten politischen Symbole und die Stärke der Empfindungen, die mit ihnen verbunden sind. Das erklärt auch, warum das politische Symbol immer ein Gegensymbol provoziert, es kann seine integrierende und abgrenzende Funktion nur erfüllen, indem es erkennbar eine Linie zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ setzt. Politische Symbole sind nicht nur Kommunikations-, sondern „Lenkungsmittel“ (Arnold Gehlen) erster Ordnung und bringen kollektive Identität zum Ausdruck. Ihre Bedeutung wächst in dem Maß, in dem Identitätskämpfe die Politik bestimmen. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, vorauszusagen, daß der Beschäftigung mit politischer Symbolik deshalb in Zukunft immer größere Bedeutung zukommen wird. Dr. Karlheinz Weißmann , Historiker, veröffentlichte 2002 in der Edition Antaios das Buch „Mythen und Symbole“.