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Pankraz, Eugen Dühring und die Todesanzeige

Pankraz, Eugen Dühring und die Todesanzeige

Pankraz, Eugen Dühring und die Todesanzeige

 

Pankraz, Eugen Dühring und die Todesanzeige

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Cato, Palmer, Exklusiv

Die deutsche Holz- und Möbelindustrie trauert um Hans Lübke". So kürzlich lapidar und in gewaltigen Lettern zu lesen in mehreren überregionalen Zeitungen. Es waren gigantische Anzeigen, die sehr viel Geld gekostet haben und weiteste Leerräume unbedruckten Papiers zwischen den knappen, fast überknappen Sätzen freiließen. Nicht das Recht auf textliche Mitteilung war hier gekauft worden, sondern leerer Zeitungsplatz, schwarz umrandete Leere als angemessenes Andenken für einen zweifellos tüchtigen Industriemanager, der in hohem Alter dahingegangen war.

Semantik und Semiotik der Todesanzeigen gehören zu den interessantesten Gegenständen der Zeitungswissenschaft. Sie geben genaueren Aufschluß über die Prestige- und Machtverhältnisse in einem Gemeinwesen als noch so gründliche soziologische Analysen und Kommentare. Nirgendwo lernt man mehr über die Verflechtung von Firmen und Institutionen, Denkfabriken und politischen Parteien, Mäzenatenzirkeln und Stiftungsräten als bei der Lektüre von Todesanzeigen. Was sonst im Alltag gern heruntergespielt oder dezent übersehen wird – im Angesicht des Todes tritt es scharf und ungeniert hervor.

Ausführlich kann man studieren, wo überall der teure Verblichene seine Hand mit im Spiele gehabt hat, wie vielen erlauchten Gremien er angehörte und wo überall er eine Aufwandsentschädigung entgegengenommen hat. Nie für möglich gehaltene Querverbindungen werden deutlich und lösen Überraschung aus. Und immer dabei ist das Spiel mit dem leeren Raum, das Prunken mit der schieren Größe der Anzeige oder das sichtliche Sich-Bescheiden mit kleinen Umfängen. Je größer die Leere, "um so schöner die Leich", wie die Bayern sagen.

Ausbrüche von Trauer und Leid, Betroffenheit und Ratlosigkeit wirken in solch sachlich-kühler Umgebung schnell outriert oder gar anmaßungsvoll. Die direkt Betroffenen, Angehörige und enge Freunde, wissen das und ziehen sich deshalb meist hinter vorgeprägte Formeln, Bibel- und Dichtersprüche zurück. Ähnliches gilt für (politische oder weltanschauliche) ehemalige "Kampfgefährten". Diese begnügen sich in der Regel damit, noch einmal knapp die "ruhmreichen" Fahnen mit den entsprechenden Parolen flattern zu lassen. Peinliche Ausrutscher kommen so gut wie nie vor, auch weil die Anzeigen-Redaktionen genau wissen, was sich jeweils "schickt", was Pietät und Political Correctness gebieten.

Auch über die aktuelle politische Verfaßtheit eines Staates geben die Todesanzeigen also untrügliche Auskunft. Es sind – darf man sagen – die ehrlichsten Seiten in einer Zeitung, was natürlich nicht heißt, daß nicht auch auf ihnen gelogen wird. Immerhin, absichtlich schlechtgeredet wird nicht. Es gibt so etwas wie die Majestät des Todes, die es erklärten Feinden oder Verächtern der Verstorbenen verbietet, sich während der Trauerzeremonien abfällig zu äußern.

Lüge oder zumindest Übertreibung in den Anzeigen betreffen faktisch immer nur die Verdienste der Verstorbenen, welche natürlich kräftig her­aus-gestellt werden. "Über die Toten nur Gutes", mahnt das Sprichwort, was aber unter Umständen sehr verschieden aufgefaßt werden kann. "Sie wissen, meine liebe Trauergemeinde", führte einst ein Pastor in seiner Leichenpredigt für einen führenden Politiker aus, "er wollte immer nur das Gute, das Beste." Worauf sich unwilliges Gemurmel in der Trauergemeinde erhob. "Das stimmt", war zu vernehmen, "aber wir Wähler wollten ja hin und wieder auch mal was Gutes."

Leichenreden und Todesanzeigen sind nun freilich grundverschieden. Die ersteren können (siehe die Rede des Marc Anton bei der Bestattung von Cäsar in Shakespeares Drama) zu glutheißen Affären werden, die geradewegs in Aufruhr und Revolution enden. Die Todesanzeige hingegen ist – nach dem berühmten Schema von Marshall McLuhan – ein eiskaltes Medium und wird es immer bleiben. Sie dient nur dazu, den Angezeigten zu begraben, und zwar ein für allemal. Weshalb es sich früher manche in der Wolle gefärbte Tatmenschen wie etwa der alte Berliner Sozialist Eugen Dühring auf ihrem Totenbett ausdrücklich verbaten, daß für sie Anzeigen aufgegeben würden. "Grabreden, Gedenkartikel, Erinnerungs-Kommers: das ja. Aber keine Anzeigen!"

Schauerliche Geschichten aus den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts sind überliefert, als noch der Beruf des Requisiteurs von Todesanzeigen üblich war. Diese Geschäftsleute drangen offenbar, wie heute die Paparazzi, oft ungeniert in die Privatsphäre von mehr oder weniger Prominenten ein, wenn sie auf dem Sterbebett lagen, und wollten ihnen schnell noch eine Todesanzeige in eigener Sache verkaufen. Besonders berüchtigt im alten Prag der Zwischenkriegszeit jener Requisiteur Egon Kisch, der die Sterbenden noch in ihren allerletzten Zügen mit "besonders preiswerten Angeboten" behelligte und ihnen keifend alle Strafen der Hölle in Aussicht stellte, wenn sie nicht endlich eine Anzeige aufgäben.

Karl Kraus hat seinerzeit das schließliche Ableben des Requisiteurs Kisch zum Anlaß für einen journalistischen Rache-Coup genommen. Er war einige Male von dem kommunistischen, von seinen Genossen stolz als "rasender Reporter" apostrophierten Journalisten Egon E. Kisch (ebenfalls wohnhaft in Prag) attackiert worden, und nun "verwechselte er aus Versehen" E. Kisch mit E. Kisch und schrieb in der Fackel einen brüllend komischen, anspielungsreichen Nachruf auf den "rasenden Reporter", wie er mauschelnd und keifend Todesanzeigen verkauft.

Heute braucht keine Zeitung mehr Todesanzeigen extra zu requirieren. Die Kunden kommen von allein, obwohl die Anzeigen teuer und die Zeiten knapp sind. Die Todesanzeige gehört inzwischen zu jedem ordentlichen bürgerlichen Erdengang. Sie verleiht postume Würde und ehrt auch die Angehörigen, selbst wenn sie nicht soviel Platz kaufen können wie die deutsche Holz- und Möbelindustrie.

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