Er starb, wie er gelebt hatte: Am 15. Oktober 1906 wurde Cézanne bei der Arbeit im Freien von seiner Staffelei weggerissen. Ein Gewitter hatte ihn überrascht. Man brachte den Ohnmächtigen heim, wo er am 22. Oktober verstarb. Inzwischen scheint sich die hybride Selbsteinschätzung des Sonderlings („Ich bin der erste Maler Europas!“) erfüllt zu haben. Die Fachwelt sieht ihn als „Tor zur Moderne“ – das Bindeglied zwischen Impressionisten und Avantgarde. Wie beim Propheten Nietzsche kam die Resonanz spät, dann freilich mit Nachdruck. Zunächst propagierten Eingeweihte seine Ideen. Schnell beriefen sich dann Symbolisten, Kubisten, schließlich Abstrakte auf den Meister aus Aix. Man verwies auf das „Dekorative“, die Zerlegung und Verschachtelung der Formen, die Abstreifung des „Inhalts“. So schien Cézanne im „Kunstwollen“ der Späteren aufzugehen. Doch ist der historische Bezugsraum komplexer, wirkten auf Cézanne doch zunächst seine Zeitgenossen: der Klassizist Ingres (1867), der Romantiker Delacroix (1863) und der Naturalist Courbet (1877). Im Jahr seines Todes 1906 begann Picasso zu malen! Nah stand er den Impressionisten. All das prägte seine Imagination. Und doch wurde sein Schaffen „nicht zu einem Spiegel des Jahrhunderts. Er blieb ein einsamer Berg“ (Lützeler). Cézanne wurde 1839 in Aix als Sohn eines Bankiers geboren. Väterliche Zuwendungen, später ein Erbe sicherten ihn materiell ab, war doch an Bildverkäufe nicht zu denken. Seit 1861 periodisch in Paris, bildete er sich autodidaktisch, da von der Akademie abgewiesen. Emile Zola gewann er zum Freund, vor allem aber die Maler einer Richtung, der seit 1872 das dubiose Prädikat „impressionistisch“ anhing. Sie veranlaßten ihn, mit dem Frühstil seiner „schwarzen Romantik“ zu brechen (bis 1870) – einem düsteren Manierismus, mit dem er die Etablierten schockte. Sein radikaler Autonomismus blieb gleichwohl ungebrochen. „Er hatte sich entschlossen, ganz von vorn anzufangen, als hätte niemand vor ihm gemalt“, so Gombrich. Mit seinem Kreis bekannte Cézanne sich zu heller Farbe und lockerem Pinselstrich; absolut grundlegend waren Sinneswahrnehmung und Naturbezug. Zweimal hat Cézanne mit den Freunden gemeinsam ausgestellt: 1874 und 1877. In Paris reifte auch sein eigentliches Programm, das die Wende brachte. Er zog sich in die heimatliche Provence zurück, verbrachte dort seine Reifejahre (1880-85); seit 1895 verdichtete sich dann die Altersschrift zum prägnanten ästhetischen Profil. Den romantischen Motiven fern, gestaltet der Maler jetzt – neben seltenen Porträts und arkadischen Badeszenen – ausschließlich Stilleben und Landschaften. Die Schönheit seiner provenzalischen Heimat, zumal den legendären Mont Sainte Victoire, sucht er unermüdlich zu gestalten. Und doch: Der Naturemphase zum Trotz ist er kein „Landschafter“, der Bilder „komponiert“. Statt dessen entwickelt er die neue Malweise. Zur Zäsur wird die Abwendung vom „Sekundenstil“ der Impressionisten, jener Verflüchtigung von Welt, Zeit und Ich. Cézanne erstrebt wieder eine Kunst der Dauer, der festen Struktur und wesentlichen Tiefe. So bricht er noch radikaler mit der Tradition als jene, revolutioniert dreifach das Bild: kassiert Raum, Körper und auch Bedeutung. Es verschwinden perspektivische Raumkonstruktion und traditionelle Tektonik; Gegenstände, modelliert von Licht und Schatten; dann der Motive ideeller Sinn, ihr literarischer Mehrwert. Dagegen stellt er das Bekenntnis zur Farbe, seiner ureigenen Potenz und zur Natur, dem absoluten Datum. Statt diese zum Schein abzuflachen, sei sie als „unveränderliche Permanenz“ zu „realisieren“ – nicht zur „reproduzieren“, vielmehr „ihre Existenzform strukturell-gesetzlich zu ‚repräsentieren'“: durch die Kunst, die eine „Harmonie parallel zur Natur“ schafft. Zunächst wird der Künstler dabei zum Medium. Dann aber erfüllt er den eigentlichen Auftrag: als Gestalter. Ganz aus der Farbe, ganz durch sie. In ihr liegt Wahrheit, alles: „Malen bedeutet, Farbempfindungen registrieren und organisieren.“ Das führt Cézanne zu seinem Bildkonzept: als Aufbau der Fläche, die er – schraffiert oder gespachtelt – aus Farbflächen zusammenfügt. Keine Flecken, sondern „allseitig verbindende Kräfte des Bildganzen“ (Lützeler), ein „Farbteppich“. Übrig bleibt „eine, in irreguläre geometrische Figuren zerlegte Bildfläche, in der die Figuren versinken oder aus der sie emportauchen (…) wie die Figuren in einem Bilderrätsel“. Das bedeutet die „Verselbständigung der Bildwerte und das freie produktive Schalten mit den Naturelementen“, so R. Hamann. Solcher Fortschritt zum „reinen Sehen“ und zur „absoluten Malerei“ provozierte nur selten Kritik. Und doch bleibt fraglich, ob „Reinheiten“ nicht Reduktionen sind, sie einem Autismus der Mittel huldigen, der Menschen nicht emanzipiert und Kunst nicht vollendet, vielmehr zerbröselt und amputiert. So sah Hans Sedlmayr die Ausdifferenzierung der Künste als Degeneration. Die „reine Malerei“ schließlich huldige einem „Positivismus der Darstellung“, indem jede, „über das Sichtbare hinausgehende Bedeutung entfällt“. Tatsächlich schreibt Cézanne: „Meine Methode ist der Haß gegen das Phantasiegebilde (…) Für den Maler sind nur die Farben wahr. Ein Bild stellt nichts dar (…) als Farben.“ So verdampften die sprachlichen Bezüge und wurde Kunst zur „Optik“. Exemplarisch geht Cézanne den Weg der Analyse, nicht Synthese. Die aus dem Verbund gelösten Künste kreisen nicht um eine externe Mitte; sie gravitieren jetzt auf die je eigene Achse. Cézanne etwa schwelgte in uferlosen Naturbetrachtungen und Farbstudien. Das machte seine Kunst zur „Malerei für Maler“. Uns aber illustriert sie fatal die Fremdheit zwischen Künstler und moderner Gesellschaft. Foto: Paul Cézanne, Selbstporträt mit Palette (1890)