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Moderner Antimodernist, Abendländer und Patriot

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Seit einigen Jahren steht eine Skulptur von Dietrich Bonhoeffer in einer Gruppe von zehn ökumenischen Heiligen des 20. Jahrhunderts über dem Westportal der Westminster Abbey. In der Berliner Staatsbibliothek am Kulturforum war unlängst eine kleine Gedenkausstellung mit einer massigen Bonhoeffer-Skulptur von Alfred Hrdlicka zu sehen. Bonhoeffer, der die Notwendigkeit einer Niederlage Hitler-Deutschlands theologisch als Gericht Gottes über die Mächte des Bösen begründete, ist für Christen, Atheisten und postmoderne Neo-Religiöse zu einer Art Universalheiligen avanciert. In der trotz – oder wegen – des Mauerfalls postnationalen Bundesrepublik dient er als Kronzeuge jeglicher Art politischer Theologie: als Protagonist eines „religionslosen Christentums“, als Aktivist gegen Rassismus und Unterdrückung, als pazifistischer Vorkämpfer einer Welt ohne Waffen, als Befürworter der Gewalt als Notwehr, als ökumenisches Vorbild in der „multireligiösen Gesellschaft“. Wer sich unvoreingenommen auf Bonhoeffer einläßt, stößt auf eine in Denken und Handeln hochkomplexe Figur der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Einer großbürgerlich-adligen Familie entstammend, pflegte Bonhoeffer ungeachtet aller Aufgeschlossenheit für die Nöte des Proletariats einen elitären Habitus. Die Dummheit, in welcher Gestalt immer, galt ihm, dem Sproß des preußischen Bildungsbürgertum, als besonders erfolgreiche Parallelerscheinung des Bösen. Der Theologe, der aus der unumkehrbaren Geschichte der Aufklärung den Verzicht auf die „Arbeitshypothese Gott“ ableitete und das „religionslose Christentum“ heraufziehen sah, war entgegen aller Polemik gegen die „Religiösen“ selbst ein „homo religiosus“ par excellence. Subjektiv geleitet von einem in Gebet und Bibelmeditation gepflegten unmittelbaren Bezug zum Absoluten, hielt er an dem „im Diesseits anwesenden“ transzendenten Gott fest. Er war – auf andere Weise als die Neo-Orthodoxen Karl Barth oder Reinhold Niebuhr und in kritischer Wertschätzung des liberalen Adolf von Harnack – ein antiliberaler Theologe. Ihm ging es, in kulturkritischer Anlehnung an Oswald Spengler, um den Erhalt und die Erneuerung des entchristlichten Abendlandes. Wie aktuell ist Bonhoeffer? Welche Sprache, welche Begriffe sind geeignet, der „religionslosen“ Welt – deren illusionslose Bejahung wollte Bonhoeffer anstelle des teils „reaktionär“, teils liberal-optimistisch gebrauchten Begriffes der „Säkularisierung“ setzen – die radikal außerweltlichen Glaubensinhalte des Christentums nahezubringen? Allein durch das „Dasein für andere“? Wer in Ferdinand Schlingensiepens Biographie nach einer souveränen Synthese der theologischen Aussagen in Bonhoeffers Gefängnisbriefen („Widerstand und Ergebung“) sowie in den Grundrissen seiner Ethik sucht, wird enttäuscht sein. Der Autor folgt hier dem Bonhoeffer-Freund und -Biographen Eberhard Bethge, auf dessen Anregung die vorliegende Arbeit zurückgeht. Läßt das Buch grundsätzliche Fragen offen, so bietet es fruchtbare historische Lektüre. Bonhoeffers Biographie zeugt von einer in der deutschen Katastrophe untergegangenen Lebenswelt: eine weitverzweigte Familie, in der man „christlich, aber nicht mehr kirchlich“ war, acht Geschwister, glänzende Karrieren, Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen zu Militär, Kunst und Wissenschaft, zu Namen wie von Hase, von Kalckreuth, Delbrück, von der Goltz. Die Hälfte der Schüler am Grunewald-Gymnasium, wo Bonhoeffer mit siebzehn Jahren das Abitur ablegte, waren Juden. Religionen oder Konfessionen spielten aber keine Rolle. Mit Abscheu über das „Schweinevolk von Rechtsbolschewisten“ schrieb er nach dem Rathenau-Mord 1922 an seine Zwillingsschwester Sabine. 1938 emigrierte diese mit ihrem „nichtarischen“ Mann Gerhard Leibholz, dem späteren Verfassungsrechtler, nach England. Zur Persönlichkeit Bonhoeffers, zum – in allen Nuancen dargestellten – Kirchenkampf sowie zur Tragik des Widerstands bietet der Autor wissenswerte Details. Als Bonhoeffer, der Artikel 231, den Schuldartikel des Versailler Vertrages memoriert hatte, sich bei seinem ersten Aufenthalt in den USA als Stipendiat am Union Theological Seminary (1930/31) mit dem französischen Pastor Jean Lasserre befreundete und dem Pazifismus öffnete, wies er die Idee der deutschen Alleinschuld am Weltkrieg ab. Die eigentliche Schuld sah er in „Deutschlands Selbstgefälligkeit, in seinem Glauben an die eigene Allmacht“, in mangelnder Demut vor Gott. Am Union Seminary schätzte Bonhoeffer die Offenheit des akademischen Betriebs, fand indes die auf Sozialarbeit und Weltverbesserung reduzierte Botschaft des Social Gospel intellektuell so unbefriedigend wie den zugrunde liegenden Pragmatismus von William James und John Dewey. In Berlin verstand er sich gut mit Otto Dibelius, der sich, engegen manch böswilliger Fama, als couragierter Hitler-Gegner bewährte. Bereits im Frühjahr 1938 trat Bonhoeffer über seinen Schwager Hans von Dohnanyi in den Kreis der Verschwörer ein. Anders als Helmuth von Moltke begegnete er Carl Goerdeler mit Sympathie. Der Theologe, der dem Niederländer Willem Visser t‘ Hooft erklärte, er bete für die Niederlage seines Vaterlandes, war ein unbeirrbarer deutscher Patriot. „Klingt Bonhoeffer nicht manchmal wie ein Nationalist?“, fragte Peter Steinbach etwas unsicher in einer Rezension (FAZ, 12. Oktober 2005). Wer angesichts des Polittheaters die Hoffnung, für die „deutsche Leitkultur“ sei noch etwas zu retten, nicht aufgeben will, wird jene Passagen schätzen, die der paralysierenden Schuldmetaphysik als bundesdeutscher Zivilreligion entgegenstehen. Bonhoeffer verfügte über ein nüchternes Urteil. Nach dem Sieg über Frankreich schrieb er Freunden in England: „Der tiefste Grund der ethischen Verwirrung liegt (…) in der Tatsache, daß die höchste Ungerechtigkeit, wie sie im nationalsozialistischen Regime verkörpert ist, sich in das Gewand relativer historischer Gerechtigkeit kleiden konnte.“ Aus der Textstelle, die der Autor als Befürwortung „eines längeren Erziehungsprozesses“ deutet, läßt sich genau das Gegenteil herauslesen: „Eine Vorherrschaft der USA wäre in der Tat eine der besten Lösungen für die gegenwärtige Krise. Aber was wird aus Europa? Was wird zum Beispiel aus Deutschland? Nichts wäre schlimmer, als ihm irgendeine angelsächsische Regierungsform aufzuzwingen – so sehr ich das zu schätzen wüßte. Es würde einfach nicht funktionieren.“ Eine Fußnote am Ende korrigiert die Schlußszene aus dem Film mit Ulrich Tukur, in der Bonhoeffer niederkniet, betet, die Kleider ablegt und nackt zum Galgen geht. Diese Sequenz basiert auf dem erlogenen Bericht des SS-Arztes Fischer-Hüllstrung. In Wirklichkeit fungierte dieser als Henkersknecht, der die bereits gehängten Männer – die Hinrichtung der Widerstandsgruppe um Admiral Canaris hatte Hitler am 5. April befohlen – wiederbelebte, um ihre Todesqualen zu verlängern. Am 9. April 1945 wurden im KZ Flossenbürg Bonhoeffer,Wilhelm Canaris, Hans Oster, Theodor Strünck, Ludwig Gehre sowie der Heeresrichter Karl Sack ermordet. Ihr Sterben zog sich von sechs Uhr früh bis gegen Mittag hin. Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. Eine Biographie. Verlag C.H.Beck, 2. Auflage. München 2006 (Erstausgabe 2005), 432 Seiten, gebunden, Abbildungen, 39,90 Euro Foto: Ulrich Tukur im Film „Bonhoeffer“ (2000): Höchste Ungerechtigkeit kleidet sich in das Gewand relativer historischer Gerechtigkeit

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