Was bleibt vom christlichen Abendland?“ – unter diesem Motto veranstaltete die Hanns-Seidel-Stiftung Mittwoch voriger Woche in Berlin eine Podiumsdiskussion. Schon der Umstand, daß die Veranstaltung kurzfristig in einen größeren Raum verlegt werden mußte, zeigte die große Resonanz des Themas. Doch wer im restlos gefüllten Saal mit der Erwartung saß, ein aktives, vielleicht sogar kämpferisches Christentum zu erleben, dürfte enttäuscht worden sein. Zunächst einmal ging es um eine Bestandsaufnahme. Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften am Institut für katholische Theologie der Universität Osnabrück, machte mehrere Elemente aus, die ursprünglich dem Christentum entstammen und seiner Ansicht nach universelle Gültigkeit besäßen, wie die Trennung zwischen weltlichem und geistlichem Lebensbereich, die Anerkennung des Person-Seins, die politische Gewaltenteilung und die Liebe zum Alltag, die Hinwendung zur Welt. Wolfgang Huber, Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland, ergänzte zwar, daß diese bloßen Folgen des Christentums nicht ausreichen, sondern eine gewisse Rückbesinnung erforderlich sei. Aber die Antwort, wie diese Rückbesinnung denn aussehen sollte, blieb er schuldig. Statt dessen konnte Huber nur sagen, wie das Christentum seiner Meinung nach nicht sein darf. Es dürfe kein „ideologisches“ Christentum geben, das eine „Höherwertigkeit“ gegenüber anderen Kulturen postuliere. Die „eigene, blutige Geschichte“ verbiete es, den „moralischen Zeigefinger zu schwingen“. Statt dessen solle man Selbstbesinnung üben, um „dialogfähig“ zu werden. Gemessen an den eigenen Worten hat das Christentum des Herrn Huber noch einen weiten Weg vor sich. Es herrschte eine seltsam verhaltene, ruhige und doch angespannte Atmosphäre im Saal. Wie eine große unausgesprochene Frage stand das Verhältnis zum Islam im Raum, das zwar vom Moderator Christoph Stölzl mehrfach angesprochen wurde – doch keiner der Redner nahm die Herausforderung an. Einzig Christiane Schlötzer-Scotland, langjährige Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung und Türkei-Experin, ging dieses Thema offensiv an. Sie mache eine irrationale Angst vor dem Islam aus und warnte davor, diesen pauschal als eine Einheit zu betrachten. Auch sehe sie keinen wesentlichen Unterschied zum Christentum. Einzig im Hang zum Fatalismus unterscheide sich der Islam von der christlichen Religion. Aus ihrer persönlichen Erfahrung könne sie keine Neigung des Islam zur Gewalt feststellen. Statt dessen machte sie den Nationalismus der Türkei für die prekäre Situation der Christen dort verantwortlich. Für einen kurzen Augenblick löste sich die gespannte Stimmung in Applaus, als der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Hartmut Koschyk, äußerte, daß seiner Meinung nach die Türkei von Europa mehr trenne als verbinde. Doch was zunächst wie ein Befreiungsschlag wirkte, verebbte. Statt dessen ergingen sich Spieker und Huber in Binnendiskussionen um die Frage der Abtreibung und ob der Irak-Krieg ein gerechter Krieg sei. Zwar formulierte man Allgemeinplätze über die Bedeutung des Christentums für die abendländische Zivilisation. Doch übrig blieb der schale Beigeschmack eines verlassenen Europas, in dem die flackernde Flamme der geistigen Christenheit am Erlöschen ist.
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