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Gegen das Kreuz

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Während des Papstbesuchs in der Türkei war die türkische Nationalflagge fast allgegenwärtig. Bei den offiziellen Anlässen sah man sie ebenso wie bei Protestdemonstrationen. Das erklärt sich auch aus dem Flaggenstolz der Türken, der für Europäer manchmal befremdlich wirkt, aber mindestens verständlich sein sollte angesichts der Schönheit des Motivs von silbernem Halbmond und Stern auf rotem Grund. Die beiden Symbole sind auch in den Fahnen vieler anderer Staaten und Organisationen anzutreffen, die sich aus historischen Gründen mit der Türkei verbunden fühlen: von der „Partei der demokratischen Aktion“ in Bosnien-Herzegowina bis zu den von Turkvölkern bewohnten Republiken Uzbekistan und Turkmenistan, die aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind. In keinem Zusammenhang mit dem türkischen Modell stehen dagegen Halbmond und Stern in den Nationalflaggen der Malediven, Malaysias, Algeriens und Pakistans. In diesen Fällen deutet man das Bild nicht als türkisches, sondern als islamisches Symbol. Indes ist die Kombination von Halbmond und Stern älter als das Volk und älter als die Religion. Vieles spricht dafür, daß ein sehr altes Motiv aus der mesopotamischen und vorderorientalischen Zeichenwelt zugrunde liegt. Vielleicht handelte es sich ursprünglich um die Symbole einer männlichen Sonnen- und einer weiblichen Mondgottheit. Entsprechende Embleme verbreiteten sich jedenfalls seit der Antike im ganzen Mittelmeerraum. Auf welchem Wege sie von den Türken übernommen wurden, ist ungeklärt. Eine Hypothese besagt, daß sie erst bei der Eroberung von Byzanz darauf stießen, wo die Mondsichel seit dem 7. Jahrhundert vor Christus als Symbol der Stadtgöttin Diana Verwendung fand und später neben den Sternen zu den Attributen Marias gehörte, der Kaiser Konstantin die Stadt geweiht hatte. Für diese Annahme spricht in gewisser Weise auch, daß der englische König Richard I. Löwenherz seinen Anspruch auf die Krone von Byzanz dadurch zum Ausdruck brachte, daß er ein persönliches Emblem verwendete, das aus Halbmond und Stern bestand. Eine andere Theorie behauptet den totemistischen Ursprung von Halbmond und Stern, die von den Türken aus dem Herrschaftszeichen des Chwaresm-Reiches in Innerasien übernommen worden sein sollen. Die nach wie vor populärste Begründung für das Halbmond-Symbol findet sich allerdings in verschiedenen türkischen Legenden. Die erste besagt, daß dem Gründer des türkischen Großreichs, Sultan Osman (1288-1326), im Traum eine Mondsichel erschienen sei, die sich über den Himmel wölbte und deren Spitzen die Enden der Erde berührte, was er als Verheißung kommender Weltherrschaft seiner Dynastie verstand. Eine andere Überlieferung besagt, daß Osmans Nachfolger Orhan Halbmond und Stern auf der Brust erschienen seien, und schließlich gibt es noch die Geschichte von Murad II., der nach dem Sieg über die Christen bei Kosovo (1448) in einer Blutlache einen Halbmond gesehen haben soll, der einen Stern verdeckte. Mit einiger Sicherheit kann man davon ausgehen, daß von Orhan der Halbmond auf der roten Fahne der Elitetruppe der Janitscharen angebracht wurde. Die Stellung einer Art Hoheitszeichen erhielt das Emblem dann unter Sultan Selim I., der zwischen 1512 und 1520 regierte. Mit dem Aufstieg des Osmanischen Reiches setzte die Identifizierung von türkischem Herrschaftsbereich und Islam und dem Halbmond ein. Das wurde auch von der christlichen Gegenseite so wahrgenommen. Der Halbmond findet sich seit dem späten Mittelalter regelmäßig als Gegensymbol zum Kreuz. Nach der erfolgreichen Abwehr der türkischen Belagerung Wiens entfernten die Bürger der Stadt Halbmond und Stern vom Stefansdom, die dort bisher unbeanstandet als Wetterfahne gedient hatten, und Kaiser Leopold I. ließ Münzen schlagen, auf denen der Doppeladler im Glanz der Sonne steht, während der Halbmond hinter den Wolken verschwindet. Die Bedeutung des Halbmonds für die militärische Emblematik des osmanischen Reiches blieb auch nach der Europäisierung der Armee im 19. Jahrhundert erhalten. Zahlreiche Auszeichnungen zeigten Halbmond und Stern. Seit 1793 war außerdem eine „Nationalflagge“ in Gebrauch, die schon das heutige Muster – rotes Tuch, darauf ein weißer Halbmond und ein weißer Stern – zeigte; 1844 wurde der vielstrahlige Stern durch ein Pentagramm ersetzt. Aufgrund der langen Überlieferung und allgemeinen Anerkennung kann es nicht überraschen, daß Mustafa Kemal nach Gründung des modernen türkischen Staates die alten Symbole beibehielt; die offizielle Festlegung als Hoheitszeichen erschien bezeichnenderweise erst 1936 notwendig. Foto: Türkische Flagge: Allgegenwärtig Die JF-Reihe „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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