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Das Erst-mal-Prinzip

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Wenn eine, sagen wir, Sprecherin der Landfrauenbewegung, vielleicht Mutter von drei Kindern, öffentlich beklagen würde, daß in deutschen Haushalten kein frisches und gesundes Mittagessen auf den Tisch komme, würden einige Hausfrauen zustimmend ihr „Hörste, da sagt’s mal eine“ nicken. Ansonsten: hochgezogene Augenbrauen. Ähnlich, wenn eine fünffache Großmutter den Verlust alter Handarbeitstechniken beklagt oder, um das Beispiel prominenter werden zu lassen, eine erzkonservative Jugendpsychologin das Fehlen von Nestwärme in heutigen Karrierefamilien. Die ureigene Klientel klopft beifällig auf den Tisch, den Rest geht’s wenig an: Die da klagen und fordern, sind die anderen, sie sind in jeder Hinsicht weit entfernt. Hier aber stehe ich mit völlig konträrer Problem- und Interessenlage; von vorgestern die, die da hadern. Neu ist das nicht: Was gesagt wird, ist im Medien- und Meinungsgeschäft weniger wichtig als die Person, die es ausspricht. Bleiben wir bei der Familienpolitik, ist es kein Zufall – und auch nicht berufsqualifikatorische Notwendigkeit -, daß mit Ursula von der Leyen eben nicht eine langjährige Vollzeitmutter, sondern eine gestandene Karrierefrau mit Doktorabschluß den Ministerposten besetzen durfte. Es kommt nicht von ungefähr, daß von der Leyen in schöner Regelmäßigkeit kokett betont, das Kochen sei ihr ein Graus – sie habe es nie gelernt. Auf das Gros der Adressaten hat die Stimme einer Frau mit vorwiegend außerhäuslichen Ambitionen ungleich stärkere Wirkung als die des vermeintlich biederen Strickstrumpfs – und sei er noch so gebildet – oder der belesenen Haushaltsführerin. Dies ist eine der Errungenschaften der Frauenbewegung: daß die unemanzipierte Rede ins Leere geht. Das will heißen, selbst jene – womöglich die Mehrzahl der Frauen -, die eine Titulierung als „Emanze“ von sich weisen würden, sind längst mit im Boot. Wer will noch die Notwendigkeit von Chancengleichheit, von Frauenrechten bestreiten, außer jenen, die dies freiwilliger- und blöderweise entbehren? Vor diesem Hintergrund erhält die Stimme der Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke enormes Gewicht, wenn sie in ihrem aktuellen Buch „Die Emanzipationsfalle“ die düstere Kehrseite der Frauenbewegung ins Licht rückt. Denn jene Journalistin, als ehemalige AStA-Vorsitzende ihrerzeit Verfechterin der „Mein Bauch gehört mir“-These, ist deutlich mehr Karrierefrau denn Muttertier. Gaschkes Buch – die Autorin selbst verdankt allein studentischem Leichtsinn eine Tochter – liest sich insofern als Introspektive ihrer Generation und nicht als Anklageschrift einer derer, die es stets besser wußten als der große Rest, die fehlgeleitete Mehrheit. Jene Mehrheit, das sind zuvörderst die 40 Prozent aller Akademikerinnen, die zeitlebens kinderlos bleiben. Diese Kinderlosigkeit ist weder eine a priori selbstgewählte, noch ist sie wesentlich mangelnden Betreuungsplätzen oder fehlender finanzieller Unterstützung geschuldet – das dürften entsprechende Umfragen längst erwiesen haben. Die deutsche Bevölkerungsimplosion, so Gaschkes – aus solch liberalem Mund bislang ungehörte – These, gehe zu einem guten Teil auf das Konto eben jener progressiven Kräfte, denen die „Frau von heute“ ihre Freiheiten und Möglichkeiten zu verdanken habe. Jener markante Einbruch der Geburtenziffern in den späten sechziger Jahren, der als „Pillenknick“ in die jüngste demographische Geschichte West- und Mitteleuropas einging, kennzeichnet für Gaschke dabei als weibliche Aneignung der „Kontrolle über die Reproduktionsmittel“ nur die Voraussetzung für einen Mentalitätswechsel, der sich weit diffuser als allein in biologischen Sphären vollzogen hat. Im Zeitalter der allgeschlechtlichen Optionsvielfalt und des Biographiedesign entsteht ein Kind als Kopfgeburt. Zu gebären ist kein Schicksal mehr, keine Determination, es ist eine wohlabzuwägende Möglichkeit unter vielen anderen, die mindestens ebenso dringlich geboten scheinen. Für Gaschke spielt hier der deutsche Ordnungssinn eine nicht unbedeutende Rolle. Überschaubarkeit, Planbarkeit, Berechenbarkeit – unter diesen Kriterien vollziehen sich männliche wie weibliche Lebensläufe im Zeitalter der Machbarkeit. Dieses absichernde und abschichtende „Erst-mal-Prinzip“, wie Gaschke es nennt (erstmal: studieren, Fuß fassen im Beruf, Auslandsaufenthalt, gemeinsame Wohnung …) sei allein vom „unordentlichen Milieu“ der Un- und Angelernten nicht wirklich aufgegriffen worden. „Ein wenig absurd“ sei es schon „daß die einfachste Verkäuferin es schafft, zwischen Kasse, Kindergarten und Abwasch hin- und herzuhetzen, während der Juristin, die weit besser planen und sich mehr Entlastung kaufen kann, das oft nur schwer gelingt.“ Den Trend setzen nun nicht Kassiererinnen und Kosmetikerinnen, sondern großstädtische Hochschulabsolventen, (weitgehend kinderlose) Medienmenschen und andere gesellschaftlich relevante Multiplikatoren. Sie stellen die Avantgarde dar, sie und ihr privilegierter Lebensstil bestimmen die Marschrichtung, die ja mehr ein Flanieren ist unter dem dominanten kulturellen Banner einer Single-Ästhetik. Jene Single-Kultur, die uns alle durch Werbung, entsprechende Bestseller und in fleischgewordenen Ally McBeals und Bridget Jones‘ umgreift, ist durchaus – via Freiheit, Selbstbestimmtheit, Ungebundenheit – ein Kind der Frauenbewegung, mit Erwachsenenleben hat dies gleichwohl wenig zu tun. Tatsächlich obsiegt jene Kultur ewiger Jugend mit ihrem unentschlossenen Schwanken zwischen Keckheit und Dauerzweifel über das weithin vermittelte, irgendwie „spießige“ Konzept von Elternschaft. Letzteres wird weithin „als Ende der Jugend, als Aufgabe von Freiheit, als Quelle von Belastungen gesehen. Und junge Leute haben es in einer extrem jugendfixierten Gesellschaft nicht eben eilig damit, diese Jugendphase abzuschließen.“ Klassische Familienpolitik und aktuelle „Vereinbarkeitsrhetorik“, erkennt Gaschke, helfen hier nicht weiter. Im Gegenteil. Eine zu befürchtende ökonomistische Wende der familienpolitischen Debatte, die durch die – wohlgemerkt emanzipatorisch argumentierende – Hintertür Mütter ganz selbstverständlich dem Arbeitsmarkt zuführen will, als seien traditionelle Rollenkonzepte längst exotisch und eigentlich undenkbar, wird keinesfalls zu einem neuen Blick auf Elternschaft, geschweige denn zu einem auch quantitativ meßbaren Mut zu Kindern führen. Gaschke kommt nicht umhin, sich – auch anhand des eigenen Lebenswegs – wiederholt von dem Verdacht abzusetzen, ein „reaktionäres Plädoyer für die Hausfrauenehe“ im Munde zu führen Dies ist wohl ein Muß, will man ernsthaft mit Gehör rechnen – siehe oben. Um so gewichtiger sind ihre Befürchtungen, daß mittels Ganztagsschulen und Hort-Offensive die Kindererziehung „komplett aus der Familie outgesourct“ wird. Dabei sei der Erhalt einer „wirtschaftsfreien, nichtökonomisierten, ineffizienten, freien Familienzone“ mindestens ebenso wichtig wie qualitativ gute institutionelle Kinderbetreuung. Es gelte, jene „außerkapitalistische“ Energie zu fördern, die den Wunsch nach Kindern überhaupt generiert. Gaschkes Buch, in lebhaftem Essay-Stil gehalten, erweist sich als wahre Schatzkiste fundierter Überlegungen und die Autorin als eine Vordenkerin, die gängige Klischees und liebgewonnene Schein-Zusammenhänge klug unter die Lupe zu nehmen versteht. Daß die „Emanzipationsfalle“ selbst in der bürgerlichen Presse teilweise auf Mißfallen stieß, verwundert nicht. Wer, wie Gaschke es macht, der schulischen Sexualaufklärung „Kindervermeidung“ als Hauptziel vorwirft, dürfte tatsächlich von einem durch-und-durch emanzipierten Frauenbild weit entfernt sein. Ein Kopfschütteln, mit dem Gaschke gut leben dürfte. Im Zeitalter der allgeschlechtlichen Optionsvielfalt und des Biographiedesigns entsteht ein Kind als Kopfgeburt – nicht mehr als Schicksal. Die Kultur ewiger Jugend obsiegt über das irgendwie „spießige“ Konzept von Elternschaft. letzteres wird als „Ende der Jugend“ gesehen. Frau allein zu Haus: Die Single-Kultur ist via Freiheit, Selbstbestimmtheit und Ungebundenheit durchaus ein Kind der Emanzipationsbewegung Foto: sony Susanne Gaschke: Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos. Bertelsmann, München 2005, geb., 223 Seiten, 16 Euro

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