Wenn bei einem renommierten Label kurz hintereinander zwei CDs mit Orchesterwerken eines zeitgenössischen Komponisten erscheinen (die letzte erst vor wenigen Wochen), dann muß es um dessen Kunst in besonderer Weise bestellt sein. Und in der Tat: Thomas Schmidt-Kowalskis Schaffen steht singulär in der Musikwelt des beginnenden 21. Jahrhunderts. Seine Musiksprache ist revolutionär – revolutionär in einer fast erratischen Weise, in der der Komponist ganz einfach tonal komponiert. Und das in dem ausdrücklichen Wollen, „die nicht verbrauchte Tonalität neu zu erfüllen“, wie er es selbst ausführt. Dabei begann der 1949 in Oldenburg geborene Schmidt-Kowalski durchaus „normal“ für das 20. Jahrhundert: Als Student an der Berliner Hochschule der Künste bei Frank Michael Beyer setzte er sich zu Beginn der siebziger Jahre mit der experimentellen Avantgarde auseinander. Doch schnell erkannte er, daß dieser Stil nicht seinem künstlerischen Ausdruckswillen entsprach, mußte aber gleichzeitig konstatieren, daß er für die von ihm angestrebte tonale Kompositionsweise keinerlei Unterstützung fand. Daran änderte auch sein Wechsel an die Musikhochschule Hannover 1972 nichts. Nach Ende des Studiums wandte er sich völlig von der Avantgarde ab, formte seinen tonalen Stil aus und begann seine Laufbahn als Komponist in vollkommener Unabhängigkeit. Ab 1980 errangen Schmidt-Kowalskis Werke zunächst im nordwestdeutschen Raum, dann auch international steigende Beachtung. Internationale Solisten erteilten ihm zahlreiche Kompositionsaufträge. Der musikalische Stil Schmidt-Kowalskis möchte nichts mit Nostalgie zu tun haben. Der Komponist sieht die Romantik nicht als bloße musikgeschichtliche Epoche, sondern als überzeitlichen Zustand, als „immerwährende menschliche Sehnsucht nach Harmonie …, nach Erweiterung des Bewußtseins“, den er in die Gegenwart übertragen möchte. „Es klingt so alt und ist doch so neu“ – dieses etwas abgewandelte Zitat des Hans Sachs über das Werberlied Walther von Stolzings aus Wagners „Meistersingern“ steht prägnant über Schmidt-Kowalskis Tonsprache. Schmidt-Kowalski möchte herausfinden, ob „eine Romantik der heutigen Zeit nicht den individuellen Willen zur positiven Lebensbejahung anregen kann, der bei manchen Menschen von einer pessimistischen Grundhaltung überlagert zu sein scheint“. Natürlich überträgt der Komponist nicht die ganze Vielfalt der Romantik des 19. Jahrhunderts in seine eigene Palette. Die „absoluten“ Meister Schumann, Brahms, Dvorák mögen Anregungen zu seiner Tonsprache geben, die instrumentale Fülle und der schwellende Klang von Schmidt-Kowalskis Partituren mag aus dem Studium der Partituren von Richard Strauss herrühren. Über hundert musikalische Schöpfungen aller Gattungen entstanden seit 1978, darunter Klaviersonaten, Kammermusik, großer Chorwerke mit und ohne Orchester, vier Symphonien, Solokonzerte, symphonische Dichtungen, geistliche Werke, Orgelmusik u.v.m. Überwiegend ist Schmidt-Kowalski gemäß seinen Vorbildern „absoluter“ Musiker, der auf programmatische Entwürfe nur selten zurückgreift. In seiner Themengestaltung, die ausnehmend plastisch und einprägsam ist, in seiner polyphonen Kunst, in der jede Stimme klingt und singt, in seinem Gestaltungsvermögen aus kleinen motivischen Partikeln und in seiner Fähigkeit zu weit ausschwingender lyrischer Kantilene erweist er sich insbesondere in der großen Form als Meister ersten Ranges. „Die Idee, den Weltkrisen der Gegenwart eine Musik entgegenzustellen, die diese Probleme in negativer Form unterstreicht, lehne ich ab. Vielmehr finde ich, daß heute eine Kunst wichtig ist, die gerade angesichts dieser Probleme Aufbauendes, positive Kräfte Evozierendes in die Welt bringen sollte.“ Das hohe humanistische Ethos, das aus diesem künstlerischen Credo spricht, wenn er die Kunst gleichsam als Heilmittel sieht, macht ihn ebenso zu einem politischen Komponisten, nur abseits eines vordergründigen Tagesgeschäfts: zum Komponisten einer Politik der Menschlichkeit, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Thomas Schmidt-Kowalski: Sinfonie Nr. 3 d-moll op. 67 und Cellokonzert a-moll op 84; Cello: Nikolai Schneider (Naxos 8.551212) ders.: Sinfonie Nr. 4 C-dur op. 96 und Violinkonzert Nr. 2 h-moll op.100; Violine: Gernot Süßmuth (Naxos 8.55124). Beide Aufnahmen mit dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern; Manfred Neumann.