The kids to the front!" So tönt zur Zeit die Antifa in München, wo für den 2. April auf der Theresienwiese eine NPD-Demonstration angemeldet ist. Die Veranstaltung ist mit den üblichen hohen behördlichen Auflagen versehen, aber die Antifa will im Verein mit Gewerkschaften, PDS und evangelischen Kirchenkreisen trotzdem die nicht minder übliche Gegen-Demo inszenieren. Und zwar sollen diesmal Kinder in der vordersten Reihe marschieren, es soll einen "Kinderkreuzzug gegen Rechts" geben.
Bisher liefen Spektakel dieser Art nach folgendem Schema ab: Einige hundert NPD-Anhänger demonstrieren friedlich, zeigen Parolen, die antifaschistischen Gutmenschen organisieren eine Gegen-Demo von zehnfacher Überzahl, in ihrer Mitte ein sogenannter "harter, gewaltbereiter Kern", dessen Mitglieder Steine schmeißen und Prügeleien provozieren. Der Ernstfall ist da, die Polizei greift ein.
Jetzt will die Antifa dieses Routine-Szenario verändern. Der Einsatz der Polizei soll hinausgezögert, wenn nicht gänzlich verhindert werden, damit der Kern seinen "gerechten Volkszorn" austoben kann. Deshalb die Kinder. Die örtliche Süddeutsche Zeitung hat bereits die Einsatzleitung der Münchner Polizei befragt, ob sie denn auch diesmal wieder frühzeitig "mit Knüppel und markigen Sprüchen" einschreiten werde. Ein leitender Beamter im Polizeipräsidium habe geantwortet: "Wohl kaum, da stehen uns ja die eigenen Kinder gegenüber. Muskelspiele helfen hier nicht weiter."
Wie soll der Kinderkreuzzug rekrutiert werden? Nun, "antifaschistische Lehrer" wollen ihre Schulklassen geschlossen in den zur Zeit laufenden Sophie-Scholl-Film führen, der gerade jugendliche Herzen ergreift und bewegt. Danach wollen die Lehrer den Kindern die Parallelen zwischen damals und heute erklären. Die NPD will auf der Theresienwiese an die Flächenbombardierung Münchens in den letzten Kriegswochen erinnern; die Kinder sollen hingegen begreifen, daß Sophie Scholl durchaus auf der Seite der Bomberpiloten gestanden hätte, und sollen deshalb in ihrem Geiste und mit jugendlichem Elan gegen die Gedenk-Demo "einschreiten".
Ob das Kalkül aufgeht, darf freilich bezweifelt werden. Allzu schlimm wird hier gelogen. Sophie Scholl wie ihr Bruder Hans, wie Professor Huber und wie übrigens auch faktisch alle Widerständler des 20. Juli waren ja leidenschaftliche Patrioten, sie stünden heute, nimmt man ihre überlieferten politischen Anschauungen zum Nennwert, sämtlich im Verdacht des Rechtsextremismus und würden vom "Verfassungsschutz" beobachtet. Auch Schulkindern fällt diese Konstellation schon auf.
Aus dem Kinderkreuzzug am 2. April wird demnach wohl nicht viel werden. Trotzdem darf man sich über die Chuzpe der Anstifter und Befürworter aufregen. Auch muß man weit in die deutsche Geschichte zurückgehen, um auf etwas ähnlich Hirnverbranntes zu stoßen, nämlich bis an den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Damals gab es schon einmal einen Kinderkreuzzug, der allerdings nicht von München, sondern von Köln seinen Ausgang nahm. Sein Ende war derart deprimierend, daß er jahrhundertelang allen Versuchen, Kinder für politische und/oder quasireligiöse Aktionen zu instrumentalisieren, als Abschreckung diente, so daß man es meistens lieber bleiben ließ.
Leider weiß man nicht mehr, wer von den großen Hansen die Idee zum ersten Kinderkreuzzug gehabt hat und ob überhaupt ein großer Hans, Kaiser, Bischof oder Papst, dahinter stand. Die Stimmung war jedenfalls aufgeladen, teilweise hysterisiert, denn die Ungläubigen hatten Jerusalem und das Grab Christi zurückerobert, und auch im Abendland selbst waren immer mehr Ketzer unterwegs, "Katharer", ebenfalls Ungläubige, die vernichtet werden mußten. Die Situation lechzte nach neuen Strategien.
Da also riefen einige Kölner Mönche (in den Annalen erscheint ein "Nikolaus von St. Severin") zum Kinderkreuzzug. Die unschuldigen Kleinen sollten nach Jerusalem wallfahren und dort den Sultan in Verlegenheit und Bedrängnis bringen. Die Mönche zogen von Haus zu Haus, um die Eltern in Erregung zu versetzen, damit sie ihre Kinder hergäben. Zum Schluß sollen über 10.000 Kinder, Mädchen wie Jungen, versammelt gewesen sein, die nun unter unsäglichen Mühen über die Alpen in die große italienische Hafenstadt Genua, teils auch nach Brindisi zogen, um sich dort gen Jerusalem einzuschiffen.
Der Zug begann am Karfreitag 1212 in Köln. Man kampierte unterwegs auf offenem Feld, nährte sich von den mitleidigen Spenden der Landleute und wurde immer wieder "agitiert" und bei Laune gehalten durch die Predigten des Mönches Nikolaus. Chroniken aus Perugia und Cremona melden den Durchzug der Kinder. Sie hätten Kreuze auf ihre Röcklein aufgenäht gehabt, und mancher hätte ein Trompetlein im Händchen gehalten, mit dem er die Mauerwerke des Sultans zum Einsturz bringen wollte.
Aber soweit ist es offenbar gar nicht gekommen. Erwachsene Kreuzschiffahrer, die die Kinder schon erwarteten, Hugo der Eiserne, Wilhelm das Schwein, verluden sie auf ihre Schiffe und transportierten sie nach Algerien bzw. Alexandria, wo sie die Kleinen kurzerhand als Sklaven an die Ungläubigen verkauften.
Einer der Versklavten fand später als 18jähriger nach Köln zurück und hatte viel zu erzählen, woraufhin der Vater des Verführers Nikolaus auf Verlangen empörter Eltern verurteilt und hingerichtet wurde. Wo Nikolaus selbst abgeblieben ist, weiß man dagegen nicht. Vielleicht hat er sich irgendwo verkrümelt und in der Toskana gemütlich zur Ruhe gesetzt.
So geht es ja überhaupt mit Kinderkreuzzügen: Kinder und Eltern verlieren den Kopf oder geraten in Sklaverei, während die Aufhetzer und eigentlichen Kampfstrategen so oder so ihren Reibach machen. Eine unbequeme Karfreitagsbotschaft.