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Champagner am offenen Grab

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Champagner am offenen Grab

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Individualität ist angesagt im Bestattungsinstitut „Flüsternde Haine“. Die Leichen werden manikürt, frisiert und geschminkt. Dann können die Angehörigen in einem individuell hergerichteten Raum von dem Verstorbenen Abschied nehmen. Schließlich wird die Leiche im Krematorium verbrannt und in einem idyllischen Park ganz unscheinbar bestattet. So beschreibt es Evelyn Waugh 1948 in seiner Satire „Tod in Hollywood“. Ein halbes Jahrhundert später hat die Wirklichkeit diese Satire fast eingeholt. Die Leiche im dunklen Holzsarg und der Pfarrer am Grab – dieses Bild wird womöglich bald der Vergangenheit angehören. Die Bestattungskultur ist Ausdruck des religiösen Glaubens der Menschen; dieser aber ist derzeit einem starken Wandel unterworfen. In unserer postchristlichen Gesellschaft breiten sich nichtchristliche Bestattungsrituale immer rascher aus. Die Feuerbestattung, die noch vor wenigen Jahrzehnten von kirchlichen Vertretern geächtet wurde, hat sich bereits etabliert und zumindest im städtischen Milieu die Erdbestattung zahlenmäßig längst überholt. Im Christentum gab es zur Erdbestattung lange Zeit keine Alternative. Wie Christus begraben wurde, so sollte auch jeder Christ begraben werden. Hierin findet auch der Glaube an die „Auferstehung des Fleisches“ seinen Ausdruck. Während die deutschen Bischöfe nach wie vor die Erdbestattung empfehlen, hat man auf kirchlichen Friedhöfen doch auch Möglichkeiten zur Urnenbeisetzung geschaffen. Ein weiterer Trend ist die anonyme Bestattung. In Schleswig-Holstein und in Niedersachsen sind schon mehr als die Hälfte aller Bestattungen anonym. In einem Schreiben aus dem Dezember 1994 haben die Bischöfe kritisiert, diese Bestattungsart käme einer Entsorgung menschlicher Leichen gleich. Zum christlichen Brauchtum gehört stets auch das Gedächtnis der Toten durch Gottesdienst und Gräberbesuch. Eine Bestattung ohne Namen und jegliche sonstige Erinnerung ist allerdings Ausdruck einer tieferliegenden Problematik, die von den Bischöfen auch angesprochen wird, nämlich der „Tabuisierung, Verdrängung und Privatisierung von Sterben, Tod und Trauer“. Bei Beerdigungen werden die Beatles oder AC/DC gespielt Dazu paßt auch ein seit Mitte der neunziger Jahre beobachtbarer Trend zur Individualisierung der Trauerfeiern, seien sie nun formell noch christlich oder schon gänzlich säkular. Hierbei gewinnt vor allem die Musik einen besonderen Stellenwert. Nicht selten erklingt bei Beerdigungen aus der Lautsprecheranlage ein Lied der Beatles oder von AC/DC. Doch auch ein Glas Champagner am offenen Grab, bunte Luftballons bei einer Kinderbeerdigung oder eine mit Fischernetzen dekorierte Leichenhalle bei der Beerdigung eines Kapitäns sind möglich. Die Bestattung erhält immer mehr „Event“-Charakter. Einige Bestattungsunternehmen haben sich diesem Trend angepaßt. Sie nennen sich beispielsweise „Landhotel der Seele“ und bieten individuelle Gestaltungsformen der Trauerfeierlichkeiten an. Dasselbe gilt auch für die Trauerrede. Für bis zu 300 Euro bieten diverse Trauerredner ihre Dienste an. Sie sind vereint in der Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier (BATF) und vor allem bei jenen sehr gefragt, die nicht mehr einer Kirche angehören. Rückläufig ist allerdings die Nachfrage für die Billigrede, bei der lediglich einige biographische Daten in eine Standardrede eingearbeitet werden. Gerne greift man etwas tiefer in die Tasche. Dafür stattet der Redner der Familie einen anderthalbstündigen Besuch ab, und die Trauerrede wird ganz auf die Person des Verstorbenen zugeschnitten. Interessanterweise sind viele der laikalen Trauerredner katholische Priester, die ihr Amt niedergelegt haben. Ein anderer Trend ist aus der Schweiz nach Deutschland gekommen, der Friedwald. Unter einem Baum wird die Asche des Verstorbenen in einer Urne bestattet. Auf Wunsch kann an dem Baum eine Plakette mit dem Namen des Verstorbenen angebracht werden. Der Friedwald ist Teil eines natürlichen Waldes und von außen nicht als Begräbnisplatz erkennbar. In Deutschland wurde im Jahr 2003 der erste Friedwald eröffnet. Mittlerweile gibt es bundesweit zehn Friedwälder. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit, da hierbei die Asche des Verstorbenen in den Kreislauf der Natur zurückgeführt wird. Die aus Pappe oder Maismehl gefertigte Urne und die darin enthaltene Asche werden dem Baum als Nährstoff zugeführt. Dieser wird somit zum „Sinnbild des Lebens über den Tod hinaus“. Da sich eine solche Auffassung nicht mit dem christlichen Glauben vereinbaren läßt, werden Bestattungen im Friedwald von den meisten Pfarrern abgelehnt. In Schwerin gibt es seit Juni 2002 eine Streuwiese, auf der die Asche des Toten ausgestreut wird. Bislang ist es die einzige in Deutschland. Doch dies ist ein erster Vorstoß für eine Liberalisierung der Bestattungskultur. Der Friedhofszwang ist liberalen Bestattungsverbänden wie dem Verein Aeternitas schon lange ein Dorn im Auge. Der Friedhofszwang ist vielen ein Dorn im Auge In Deutschland ist es noch verboten, die Urne zu Hause zu behalten. In Nachbarländern wie Italien, der Schweiz und den Niederlanden ist dies erlaubt. Wie lange sich im vereinten Europa ein solches Verbot gegen den Trend wird halten lassen, bleibt fraglich. Am Anfang und am Ende des Lebens wird besonders deutlich, welches Menschenbild in einer Gesellschaft vorherrscht. Die Zunahme neuheidnischer Trends in der Bestattungskultur konfrontiert uns erneut mit der Frage: Was ist der Mensch – nur ein Teil der Natur, der aus ihr hervorgeht und wieder zu ihr zurückkehrt, oder eine einmalige Person, die zu ewigem Leben bestimmt ist? Georg Alois Oblinger ist katholischer Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Ichenhausen im Bistum Augsburg.

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