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Schwelgen wie in der Oper

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Mikrokosmos“ war grün, dieser Film ist blau. Farben sind ästhetische Merkmale, und die großen Naturfilme, die in den letzten Jahren in die Kinos kamen, sind vorwiegend ästhetisch zu verstehen. Das gilt auch für „Nomaden der Lüfte“. Auch Durchsichtigkeit ist eine Farbe. Die gesprochenen Informationen bleiben spärlich und fehlen in weiten Teilen ganz. Daß diese Filme auch zum „Umweltbewußtsein“ beitragen, stimmt nur insofern, als Tolstoi auch über das Rußland des 19. Jahrhunderts belehrt. In erster Linie sind es immer Kunstwerke. In „Deep Blue“, unter der Regie von Alastair Fothergill und Andy Byatt, spielt das Berliner Philharmonische Orchester die bewegende Musik von George Fenton. Damit etabliert sich Filmmusik endgültig als ernstzunehmende Gattung neben Oper und Musical. Siebzig Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, diese Information erhält man immerhin, und dann geht es schon los mit Bildern von springenden Delphinen, aber nicht nahe dem Bootssteg wie in Fernsehserien, sondern draußen auf dem offenen Meer, wo sie sich immer wieder in die anrollenden Wogen stürzen. Als Kind hatte man es auch gekannt, dieses Glücksgefühl in den brechenden Wellen; dagegen ist Sex eine langweilige Pflichtveranstaltung. Überhaupt kommt im ganzen Film keine Fortpflanzung vor. Zwar ist mal von den Brutplätzen der Albatrosse die Rede, und junge unerfahrene Seelöwen werden von einem Wal hoch in die Luft geschleudert, aus der Luft kommen sie wie vom Klapperstorch. Man könnte dafür tiefenpsychologische Erklärungen suchen – sind Fothergill und Byatt etwa schwul? -, doch die Wahrheit liegt näher: Es ist nicht nötig. Biologisch mag der Akt unverzichtbar sein, künstlerisch üben das Äußere der Tiere und ihre zauberisch gleitenden Bewegung im Wasser, dem Element der Venus, eine so starke Faszination aus, daß zusätzliche erotische Reize nur störend wirken würden. Als Tierfilm enthält „Deep Blue“ mehrere Premieren. Eine davon ist die stundenlange Jagd einer Gruppe von Haiwalen auf ein Grauwaljunges, das von der Mutter abgedrängt und getötet wird. Gehört auch das zur Ästhetik? Wenn wir die Renaissance als ein Zeitalter betrachten, das „von Blut und Schönheit rauchte“ (Thomas Mann), dann ganz gewiß. Dann dürfen auch Delphine die raffinierte Methode anwenden, Blasen zu werfen, um einen Fischschwarm zu lauter silbernem Flitter zusammenzudrängen, um desto herzhafter zuschnappen zu können. Die Therapie aus „Findet Nemo“: „Fische sind Freunde, kein Fressen“, ist hier noch nicht angekommen. Ab 5.000 Meter kommt kein Licht mehr durch, und der Druck steigt extrem an. In Mini-U-Booten haben sich Kameraleute in diese geheimnisvolle Welt eingeschleust. Uns hat irgendein Lehrer erzählt, hier unten gebe es nur hautfarbene Scheusale. Weit gefehlt, wie auf dem Rummelplatz leuchten und flackern die Fische vorüber, um wieder in der totalen Finsternis zu verschwinden. Wirklich beschreiben läßt sich das nicht – beschreiben Sie mal ein Seestück von William Turner. In seinem Buch „Die Wiederkehr des Schönen“ hat der konservative Kunsthistoriker Richard Eichler erklärt, daß zeitgenössische Maler zu einer Naturästhetik wie bei Turner oder bei Caspar David Friedrich zurückfinden sollten. Doch Maler werden nie mehr danach streben, die Schönheit der Natur einzufangen. Sie wären auch dumm, wenn sie es versuchten, denn Fotografie und Film können das inzwischen viel besser. Die Behauptung, das technische Medium könne nur „seelenlose“, unpersönliche Bilder liefern, mag beim Knipsen von Urlaubsfotos zutreffen, für Künstler wie Fothergill und Byatt gilt es nicht. Ein geniales Foto oder ein großer Film sind genauso subjektiv wie das traditionelle Kunstwerk. Das Handwerkliche, das auch bei den alten Meistern eine große Rolle spielte, ist ins Technische transponiert worden. Materialien sind nicht mehr Leinwand und Pinsel, sondern Kamera, Blende, Filter, und ein ganzes Team von Mitarbeitern – bei „Deep Blue“ sind es 20 Teams – tritt an die Stelle der alten „Malerschulen“. Ein großer Teil künstlerischer Produktion ist immer schon uninspirierte Massenware für den schnellen Gebrauch gewesen. Erst im Abstand von Jahrzehnten und Jahrhunderten kristallisieren sich die Meisterwerke heraus. Das ist heute beim Film nicht anders. Nur solange man die Augen auf moderne Museen richtet, scheint die Schönheit untergegangen zu sein. Drum herum aber, in der Werbung, im Film, in den Illustrierten, blüht und prangt es prächtiger denn je. In erster Linie wird wie eh und je der Eros gefeiert, aber Tier und Natur bilden (nicht nur in der Marlboro-Werbung) ein elegisches oder humorvolles Gegengewicht. Das Publikum jedenfalls ist zufrieden. Es braucht und vermißt einen Ölmaler genausowenig wie die alte Pferdekutsche oder den Nachttopf aus Porzellan. Die zeitgenössischen Künstler sind meist keine „Scharlatane“, sondern melancholische Fortschrittsverweigerer. Sie setzen ihren Stolz darein, möglichst gekonnt etwas zu tun, was eigentlich gar nicht mehr möglich ist. Was ist eigentlich „das Schöne“? Die Frage drängt sich in „Deep Blue“ stärker auf als etwa in der aktuellen MoMA-Ausstellung. Das Ästhetische ist das Oberflächliche. Darunter sieht es furchtbar aus. Haben Sie schon mal einen Fisch ausgenommen? Doch qua Selektionsdruck verschwindet alles Tote, Kaputte, Verbrauchte, alles „Häßliche“ sehr schnell von der Bildfläche. Darum ist die Natur „schöner“ als im allgemeinen der Mensch, weil dort eine ständige Korrektur stattfindet. Das gilt auch schon im molekularen Bereich. Wenn nicht ständig Kräfte sich gegen die Entartung von Zellen anstemmten, wären Menschen und Tier gleichermaßen von Krebsgeschwüren bedeckt. „Wer schön sein will, muß leiden“, lautet ein Kinderspruch. Die Kleinen begreifen schon: Schönheit ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe. Sie ist ein dauerndes Ankämpfen gegen einen Verfall, der den Eindruck des Häßlichen auslöst. Der Künstler bannt die Schönheit, indem er scheinbar mühelos über alle Untiefen hinwegschreitet. Das Faszinosum von „Deep Blue“ besteht darin, bis auf 5.000 Meter Tiefe immer an der Oberfläche entlangzugleiten. Fotos: Blauwal macht Jagd auf eine junge Robbe: Aus der richtigen Distanz wird auch ein Kampf um Leben und Tod zum schönen Schauspiel / Angler-Fisch: Er bewohnt nur die Tiefsee / Fetzen-Fisch: Kein Gentechniker könnte diese Kreation an Phantasie übertreffen

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