Über 17 Jahre lang hat der polnische Fotograf und Journalist Tomasz Kizny in staatlichen und privaten Archiven nach Bildern geforscht, die auch den heute jüngeren sowie den kommenden Generationen einen Eindruck von dem Grauen des sowjetischen Lagersystems vermitteln können, in dem Millionen Menschen Leben und Gesundheit einbüßten. Ergebnis dieser Forschungsleistung ist der kürzlich in der Hamburger Edition erschienene großformatige Band "GuLAG".
Einen Teil des Materials präsentierte der 1958 geborene Kizny nun vergangenen Donnerstag auf Einladung der Thüringischen Landesvertretung beim Bund in der Berliner Mohrenstraße sowie der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, der Aufarbeitungsinitiative Memorial sowie der Autorin Lea Rosh in einem Lichtbildervortrag etwa 150 interessierten Zuhörern.
Die Aufgabe, der sich Kizny verschrieben hat, ist um so höher einzuschätzen, als die jüngeren Generationen visuellen Eindrücken eine größere Bedeutung beimessen als schriftlichen Zeugnissen. Berücksichtigt werden muß dabei freilich der Umstand, daß im Gegensatz zu dem militärisch von außen zerschlagenen Nationalsozialismus das kommunistische System durch seine jahrzehntelange Herrschaft weitaus größere Möglichkeiten hatte, die Spuren seiner größten Verbrechen erfolgreich zu verwischen.
Dennoch ist anhand des vorhandenen Archivmaterials – oftmals Propagandafotos der zwanziger und dreißiger Jahre, privates Fotomaterial der "Täter" und ihrer Familien, einige Bildern, die nach der Amnestierung von politischen Häftlingen Mitte der fünfziger Jahre von diesen selbst als "Erinnerung" aufgenommen wurden sowie in den letzten Jahren im Bereich der ehemaligen Lagerorte erstellte Aufnahmen – ein charakteristisches Gesamtbild entstanden.
Wachpersonal wurde oft selbst zum Tode verurteilt
Verhältnismäßig umfangreiches Material existiert vom Solovetzki-Lager (1923-1939). Dieses kann als "Keimzelle des GuLAG" bezeichnen werden, da es das erste Lager war, welches zentral der GPU unterstand. Zwar waren bereits vor der Gründung dieses "Lagers zur besonderen Verwendung" rund 700 derartige Einrichtungen auf russischem Territorium angelegt worden. Diese unterstanden allerdings noch nicht einer zentralen, sondern der regionalen Verwaltung. Aus diesem Grund entstand in den ersten Jahren eine beträchtliche Zahl von Propagandafotos, auf denen sowohl Teile der Lagereinrichtungen als auch Häftlinge und Wachpersonal zu sehen sind. Letzteres wechselte häufig und wurde – wie auch an zahlreichen anderen Orten – wegen seines in dieser Zeit angehäuften "Herrschaftswissens" in vielen Fällen wenige Jahre später selbst zur Gefangenschaft oder zum Tode verurteilt.
Weiteres Material von Kizny dokumentiert den Bau des Bierlemonkanals (1930-1933), von 200.000 Arbeitern unter primitivsten Bedingungen in einer Rekordzeit von zwanzig Monaten als Verbindung zwischen Ostsee und Weißem Meer hergestellt. Wie bei den meisten von Häftlingen erbauten Großprojekten war dessen tatsächliche ökonomische Bedeutung äußerst gering; wirklich wichtig war allein die politisch-propagandistische Zielsetzung.
Das galt auch für den Bau der sogenannten "Todesstrecke", jener Nordeisenbahn, die das sibirische Norilsk mit dem europäischen Eisenbahnnetz verbinden sollte. Der in größter Eile und ohne Rücksicht auf Kosten und Schäden von bis zu 70.000 Häftlingen erbaute Schienenstrang wurde 1953 zwei Wochen nach Stalins Begräbnis abgebrochen.
Die Spuren dieses Unternehmens, das unzählige Menschenleben kostete, sind heute noch entlang von Teilstrecken zu erkennen: Etwa 700 Kilometer Schienenstrang führen ins Nichts, Triebwagen und Waggons, die vom Sieg des Kommunismus künden sollten, verrotten noch immer auf den Gleisen. Über hundert Lagerreste in der Tundra sind heute noch auffindbar.
Die größte Zahl der Häftlinge der dreißiger bis fünfziger Jahre war zur Zwangsarbeit im Kolyma-Komplex verurteilt, unter dessen Verwaltung fast zehn Prozent des Territoriums der UdSSR standen. Der Abbau von Uran mußte ohne den geringsten Schutz vor Strahlungen erfolgen, die Häftlinge hatten keine Ahnung, welches Material abgebaut wurde. Bekannter im Westen ist der Lagerkomplex von Workuta. Grund: Nach der Amnestie für politische Gefangene 1955 hatten viele ehemalige Häftlinge die Gelegenheit, Aufnahmen von einzelnen Lagerstätten zu machen.
Bedürfen die Bilder einer Kenntnis der Hintergründe?
In der Diskussion wurde deutlich, daß über die von Kizny aufgestellte These, die vorgestellten Bilder würden "für sich sprechen", gegensätzliche Auffassungen existieren. Zumindest das Propagandamaterial sei ohne ein tiefere Vorkenntnisse der Hintergründe und Gegenüberstellungen an sich nur sehr begrenzt dazu geeignet, die tatsächlichen Dimensionen des Gesamtkomplexes "GuLAG" zu erkennen, warnten mehrere Zeitzeugen. Nach ihrer Auffassung könnte ohne dieses notwendige Wissen ein erheblicher Teil der Aufnahmen eher der Tendenz zur Verharmlosung kommunistischer Verbrechen entgegenkommen.