Der Umgang mit den Folgen der SED-Diktatur hat seine Tücken. Ihre Opfer kritisieren nicht zu Unrecht eine gewisse Unwilligkeit in Politik und Medien, ihnen zugefügte Schäden und zerstörte Chancen anzuerkennen und – so weit überhaupt möglich – auszugleichen. Täter und Mitläufer der kommunistischen Diktatur beklagen dagegen „Siegerjustiz“, fühlen sich sozial abgewertet und um die Anerkennung ihrer in der DDR erbrachten Leistungen betrogen. In dieser Gemengelage aus Ressentiments, berechtigten und unberechtigten Klagen sowie Versuchen der Geschichtsklitterung einen kühlen Kopf zu bewahren, ist nicht einfach. Dem Journalisten und Publizisten Karl Wilhelm Fricke, der am 3. September 1929 im anhaltinischen Hoym geboren wurde, gelingt es mühelos, obwohl die Diktatur im Osten und der launische Zeitgeist im Westen es ihm nicht leicht gemacht haben. Karl Wilhelm Fricke war selbst ein Opfer der Repression in SBZ und DDR, mit deren Ursachen, Details und Folgen er sich in zahlreichen Untersuchungen auseinandergesetzt hat. Im Juni 1946 wurde sein Vater Karl Oskar Fricke, Volksschullehrer und trotz Übernahme bescheidener Ämter „kleines“ Mitglied der NSDAP, aufgrund einer Denunziation durch eine SED-Genossin wie Tausende Leidensgenossen von russischen Offizieren „abgeholt“ und bis 1950 ohne Prozeß in Buchenwald interniert. Danach wurde er in den berüchtigten Waldheim-Prozessen durch die DDR-Justiz im Schnellverfahren zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nun erst erhielt seine Familie ein Lebenszeichen; die sowjetischen Lager waren Schweigelager. Karl Oskar Fricke erlag am 27. März 1952 in Waldheim den Strapazen seiner fast sechsjährigen Inhaftierung. Sein Sohn hat ihm und seinen Leidensgenossen lange vor der Wende 1989/90 in seinem monumentalen Werk „Politik und Justiz in der DDR“ (erschienen 1979) ein Denkmal gesetzt und verhindert, daß ihr Schicksal in der Zeit der Entspannungspolitik in Vergessenheit geriet. Damals war Karl Wilhelm Fricke selbst schon ein DDR-Opfer geworden. 1948 durfte er noch in Aschersleben das Abitur machen, obwohl er den Beitritt zur FDJ mit der Begründung verweigert hatte, er wisse nicht, was mit seinem Vater geschehen sei. An ein Studium war aber unter diesen Umständen nicht zu denken. Immerhin wurde er als Hilfslehrer für Russisch an derselben Volksschule in Hoym beschäftigt, an der schon sein Vater unterrichtet hatte. Wie dieser wurde er auch bald Opfer einer Denunziation und verhaftet. Es gelang ihm allerdings zu entkommen und über die grüne Grenze in den Westen zu flüchten. Hier studierte er zuerst in Wilhelmshaven und danach in West-Berlin an der Deutschen Hochschule für Politik. Sein Berufsziel war immer Journalist. Schon während des Studiums konnte er bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, später auch beim Rundfunk, Fuß fassen. Sein Spezialgebiet war die DDR, deren Entwicklung man im damals noch offenen West-Berlin gut verfolgen konnte. Fricke machte aus seiner antikommunistischen Einstellung nie ein Hehl, achtete jedoch um so mehr auf sorgfältige journalistische Recherche. Von dieser Maxime läßt er sich bis heute leiten. Sie machte ihn sachlich unangreifbar, zog ihm aber gerade deshalb den unversöhnlichen Haß der Machthaber in der DDR zu. Am 1. April 1955 wurde Karl Wilhelm Fricke im Auftrag des MfS in der West-Berliner Wohnung von Bekannten betäubt und anschließend in bewußtlosem Zustand in den Ostsektor verbracht. Sein Entführer war Kurt Rittwagen (1914-1993), eine auch aus der Sicht der SED dubiose Gestalt, die sich auf der Grenze zwischen politischer und gewöhnlicher Kriminalität bewegte und es dennoch oder gerade deswegen zum Major im Staatssicherheitsdienst brachte. Rittwagen wurde von seiner Ehefrau unterstützt. Fricke hat, basierend auf guter Aktenüberlieferung, alle Details in der autobiographischen Rekonstruktion seiner politischen Verfolgung durch die Machthaber der DDR („Akten-Einsicht“, 1995) dokumentiert. Karl Wilhelm Fricke wurde vom Obersten Gericht der DDR zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und verbüßte seine Haft in der Strafanstalt Bautzen II. Es ist typisch für ihn, daß er die verordnete Einzelhaft nutzte, um sich anhand der Bestände der Zuchthaus-Bibliothek fundierte Kenntnisse der „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus zu erarbeiten. Davon hat er in seinem weiteren Berufsleben profitiert. Fricke blieb dem Thema DDR treu, publizierte seine Hafterlebnisse und – das war das Schlimmste aus kommunistischer Sicht – fand Mittel und Wege, auch die DDR-Bevölkerung zu erreichen. Seit Januar 1970 arbeitete er als Redakteur mit besonderen Aufgaben für den Deutschlandfunk. Als Leiter der Ost-West-Redaktion gewann er in der DDR ein Ansehen, dessen politische Wirkung gar nicht überschätzt werden kann. Daneben verfaßte er Werke zur DDR-Kunde und publizierte in Zeitungen und Zeitschriften. Fricke leistete damit einen ganz wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt der deutschen Nation in einer Zeit, als die Versuchung immer größer wurde, im Interesse des Friedens und einer falsch verstandenen Entspannung über die dunklen Seiten des Kommunismus hinwegzusehen. Er nannte die Dinge stets beim Namen und nahm keine Rücksicht auf taktische Überlegungen. Das konnte dann schon mal dazu führen, daß ein Buch über das Repressionssystem der DDR deutlich länger als üblich auf Förderung durch das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen warten mußte. Dennoch setzte sich die Qualität der Arbeiten Frickes immer durch. Die Zunft der universitären DDR-Forscher sah allerdings neben ihm oft recht blaß aus. Nur Fricke hat sich getraut, ein Buch zu schreiben, das zum Standardwerk wurde: „Die DDR-Staatssicherheit. Entwicklung, Strukturen, Aktionsfelder“ erschien 1982 in erster Auflage und erlebte bis zur Wende in kurzen Abständen weitere Auflagen. Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 wurde es vom Gesamtdeutschen Institut an Besucher aus der DDR verschenkt, wo es von Hand zu Hand ging und dazu beitrug, das gefürchtete MfS zu entzaubern. Durch dieses Buch und weitere einschlägige Publikationen hat sich Fricke den Rang eines Nestors der Stasi-Forschung erworben und viele Vertreter der Zeitgeschichte vor 1990 beschämt. Es war nicht nur Ausdruck der Anerkennung, sondern auch eines berechtigten schlechten Gewissens der Zunft, daß er 1996 von der Freien Universität Berlin mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet wurde. Anläßlich seines 75. Geburtstags ist Karl Wilhelm Fricke – durchaus egoistisch – nur weiterhin viel Schaffenskraft zu wünschen. Ein ehrlicher Zeitzeuge, ein unbestechlicher Journalist und sorgfältiger Wissenschaftler, der seine Resistenz gegenüber den Versuchungen des Zeitgeistes oft genug unter Beweis gestellt hat, wird auch in Zukunft dringend gebraucht. Detlef Kühn , Jahrgang 1936, war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn und von 1992 bis 1999 Direktor der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Foto: Karl Wilhelm Fricke: Beiträge zum Zusammenhalt der deutschen Nation
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