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Marc Jongen, ESN Fraktion

Hommage an Südamerika

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Ernesto Guevara de la Serna, von Freunden später „Che“ genannt, wurde 1928 in einem gutbürgerlichen Haushalt in Argentinien geboren. Nach dem Medizinstudium zog er durch Lateinamerika und arbeitete medizinisch in Armenvierteln, vor allem im Bereich der Lepra-Therapeutik. 1955 schloß er sich den Revolutionären um Fidel Castro an und war maßgeblich am Sieg der kubanischen Guerilla über den Diktator Fulgencio Batista beteiligt. Als planwirtschaftlich orientierter Präsident der dortigen Nationalbank (1959-61) und Industrieminister (1961-65) betrieb er unter anderem die Nationalisierung der nordamerikanischen Unternehmen, die Enteignung der Großgrundbesitzer und den Aufbau ländlicher Siedlungs- und Bildungsprogramme. Sein Ziel blieb aber eine proletarische Weltrevolution, so daß es ihn wieder forttrieb von den Untiefen der Realpolitik. 1965 begab er sich in den Kongo, um dort Guerillakämpfer auszubilden. Sein anschließender Versuch, auch in Bolivien eine Untergrundarmee aufzubauen, geriet zum Debakel. Von der Landbevölkerung ignoriert, von der kommunistischen Partei fallengelassen, wurde seine terroristische Kleingruppe von der bolivianischen Armee gejagt. 1967 wurde Guevara gefangengenommen und in Higueras hingerichtet. Erst 1997 konnten seine Gebeine exhumiert und nach Santa Clara in Kuba überführt werden. Seit den sechziger Jahren wurde der Gescheiterte zum Idol der politischen Linken – ein linksgewendeter Schlageter und politisch entschlossener Jim Morrison in einer Person. Die Demonstranten der 68er-Bewegung beriefen sich auf ihn, sein stilisiertes Porträt wird immer noch vielerorts als T-Shirt oder Button in einschlägigen Szene-Clubs getragen. Dieser Transformation zur Popikone kam zugute, daß Guevara ein gutaussehender, fotogener Mann war, ihn eine erotische Aura kämpferischer Männlichkeit umgab und er zudem relativ früh starb. Der ewig heroisch blickende junge Held, der den bösen Mächten der Welt die Stirn bietet – solche Vorstellungen mögen seinerzeit auch die Terroristen der RAF gehegt haben: Revolution und Terror als Pop-Phänomen gelangweilter Bürgerkinder. Und die Mythenbildung wird eifrig unterstützt durch einen großen Wurmfortsatz an einschlägiger Literatur oder cineastischen Ergüssen. Ganz auf dieser Linie liegt auch die US-amerikanisch-deutsch-britische Produktion (als ausführender Produzent fungierte Robert Redford) „Die Reise des jungen Che“ von Walter Salles („Central Station“), die sich Guevaras vorrevolutionärer Jugend widmet. Man schreibt das Jahr 1952, Ernesto Guevara, gespielt von dem Mexikaner Gael García Bernal, der durch Filme wie „Amores Perros“ (2000) und „Y tu mamá también“ (2001) Bekanntheit erlangt hat, unternimmt als 23jähriger Medizinstudent mit seinem Freund Alberto Granado eine neunmonatige Reise durch Lateinamerika: zuerst auf einem alten Motorrad, dann zu Fuß, per Amazonas-Dampfer und auf den Ladeflächen unzähliger Lastwagen. Aus den unbesorgten Jünglingen, die fröhlich in den Tag hineinleben und mit fantasievollen Abenteuergeschichten lokale Dorfschönheiten bezirzen, werden im Laufe der Reise nachdenkliche Männer, die die Tragödie Lateinamerikas, Armut und Krankheit, erblicken. Salles versucht diesen Road Movie als Reise zu den Ursprüngen des revolutionären politischen Denkens Che Guevara zu verkaufen. Doch die gezeigte Reise erklärt nichts, ergießt sich statt dessen in Andeutungen. Zwar wird analog zu den körperlichen Strapazen der Protagonisten der Kontakt zur darbenden Landbevölkerung intensiviert, doch Ches seelische Annäherung an die Armen, das Verständnis für deren Nöte wird allenfalls dargestellt, kaum jedoch ausreichend erläutert. Der Reifungs- und Entwicklungsprozeß, den Salles darzulegen vorgibt, bleibt seltsam vage. Die beiden jungen Männer treffen auf ihrer Reise eine alte kranke Frau, einige Bauern, die von Großgrundbesitzern von ihren Äckern vertrieben wurden, einige schlecht behandelte Wanderarbeiter, schließlich eine Kolonie medizinisch betreuter Lepra-Kranker im Dschungel. Es sind Konfrontationen mit Elend, die bei jungen Menschen sicherlich Mitleid und den Wunsch, helfend einzugreifen, auslösen können. Weshalb der sensible Guevara allerdings in der Folgezeit nicht weiter als Arzt tätig war, Entwicklungshelfer, Mitglied einer internationalen Hilfsorganisation oder einfach nur ewig betroffener Kleinbürger wurde, sondern statt dessen irgendwann zum Gewehr griff, um damit Menschen zu erschießen, bleibt unergründlich. Man kann nur spekulieren über psychologische Abläufe, die man von Vertretern der 68er-Bewegung kennt. Abenteuerdrang, satte Unlust am bürgerlichen Lebensweg und überkommenen Regeln, gepaart mit einem moralischen Rigorismus, der soziale Ungleichheit allein durch Unterdrückungszusammenhänge erklären kann – dies mag das explosive Gemisch sein, das Mittelstandskinder zu politischen Revolutionären werden läßt. Energien werden nicht in Abenteuerreisen, Drogenexzesse, Extremsportarten gesteckt, sondern in einen politischen Kampf, der in letzter Konsequenz auch vor Waffengebrauch nicht zurückschreckt. Manche simulieren nur, Che Guevara ging diesen Weg sehr radikal. Seine Motive mögen redlich gewesen sein. Daß er aber den Tod vieler Menschen zu verantworten hatte, thematisiert Salles‘ Film ebensowenig wie die Spätfolgen, die sich bis heute in Kuba zeigen. Zum völlig unkritischen Bild, das der Brasilianer von Guevara zeichnet, mag passen, daß die Erzählung vornehmlich auf den Tagebüchern der beiden jungen Männer sowie auf Schilderungen Granados, der heute noch in Kuba lebt, und Guevaras Familie, seiner Witwe Aleida und der Kinder, beruht. So liefert Salles ein oberflächlichliches, bisweilen schmalziges Rührstück. Dennoch entfaltet „Die Reise des jungen Che“ einen eigentümlich bezaubernden Reiz, wenn man den politischen Hintergrund ausblendet. Bestechend sind vor allem die großartigen Landschaftsaufnahmen. Der Zuschauer durchrast die Weite der Pampa Argentiniens, sieht die kühlen Berge Patagoniens an sich vorbeiziehen, erfährt die Trockenheit der chilenischen Atacama-Wüste, erblickt die Würde der Inka-Stadt Machu Picchu und fühlt die Schwüle des peruanischen Amazonas-Gebiets. Dieser Bilderreigen ist eine Hommage an den südamerikanischen Kontinent, eine grandiose Liebeserklärung von solcher Sinnlichkeit, daß auch Nicht-Marxisten und Bürgerliche Geschmack daran finden dürften, auf den Spuren Che Guevaras durch diese Länder zu streifen – mit Fotokamera und ohne Gewehr. Foto: Ernesto Guevara (Gael García Bernal) und Alberto Granado (Rodrigo de la Serna) marschieren durch die Atacama-Wüste: Manche simulieren nur, Che ging seinen Weg sehr radikal Auf dem Motorrad durch Argentinien: Satte Unlust am Bürgerleben

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