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Eine Wiese für Deutschland

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Über zwei Jahre ist es her, daß der Bundestag den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses für verbindlich erklärte. Seitdem wurde dieser Beschluß von offizieller Seite nie in Zweifel gezogen. Trotzdem scheint die Rekonstruktion des Baus unwahrscheinlicher denn je. Auf den ersten Blick ist daran die allgemeine Finanzmisere von Bund und Ländern schuld. Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen und der um sich greifenden Armut in der Mittelschicht möchte keine Politiker den ersten Spaten für ein Schloßneubau stechen – heißt es in vielen Kommentaren. Doch diese Erklärung greift zu kurz. Es gibt genügend Beispiele für teure und „sinnlose“ Investitionen im Denkmalschutz, die ohne große Debatten über die Bühne gehen. Als prominentes Beispiel gleich neben dem Schloßplatz mag die Bauakademie gelten, deren eine Ecke schon seit Jahren steht und deren Rest ohne Zweifel in naher Zukunft ergänzt werden wird. Auch die Kommandantur Unter den Linden Nr. 1 – wahrscheinlich die feinste Adresse der Hauptstadt – wurde in Windeseile hochgezogen. Dabei spielt keine Rolle, daß dieser Bau von dem Mediengiganten Bertelsmann zur eigenen Nutzung gleichsam aus der Portokasse gezahlt wurde, denn wenn Volk und Regierung sich der alten Fassade verweigert hätten, wären auch die Bertelsmänner nicht weit gekommen. Aber es handelte sich eben nur um die Kommandantur, ein Dienstgebäude. Das Schloß hingegen war kein Dienstgebäude – es war nicht „einfach nur schön“, es beherrschte seine Umgebung mit der ganzen Wucht royalistischer Würde. Es ist diese geahnte, nachzitternde Würde, die sich nun dem begeisternden Zugriff des Pöbels sperrt. Wilhelm von Boddien, der exponierteste und aktivste Schloßbauer, mag sich dieser Besonderheit bewußt gewesen sein, denn von Anfang an wurde er nicht müde, die Bürgerlichkeit dieses Gebäudes zu betonen. Das ist natürlich Humbug und, gelinde gesagt, eine Irreführung, mag die Motivation noch so ehrenhaft sein. Laut Boddien sollen sich „alle Berliner“ und Deutsche in einer gemeinsamen, demokratischen Anstrengung „ihr eigenes Schloß“ bauen. Inzwischen kann jeder Bauwillige eigene Steine spendieren, oder wer mehr Geld hat, gleich ganze Fassadenteile. Dafür gibt’s dann auch ein waschechtes Zertifikat: „Ich war dabei!“ In der fertigen Eingangshalle, verspricht Boddien, soll zusätzlich ein riesiges Gemälde hängen, auf dem alle „Miteigentümer“ verzeichnet sind. Mit stolzgeschwellter Brust mag dann Versicherungskaufmann Max Müller seinem Enkel Maik-Kevin erklären, daß er hier „was zu melden“ habe. Eine bedauernswerte Vorstellung. Das Plebejische des Barockummantelten soll auch in seiner Funktion klar erkennbar sein: Statt eines Königs, möchte man hier allerlei Bildungsbürgerklimbim unterbringen: viele Bücher, Exponate diverser Museen und eine Agora für hochgeistige Gespräche und Kongresse. Freßecken dürfen natürlich auch nicht fehlen. Des alten Schlosses letzter Eigentümer hätte zu diesem Nutzungskonzept verächtlich „Quatschbude“ gesagt. Die Schloßbefürworter glaubten, mit dem „Persilschein“ für die Nutzung des Baus im Dritten Reich wäre die Sache schon gewonnen. Offenbar bemerkten sie nicht, daß die Nationalsozialisten ebensowenig mit diesem Klotz etwas anfangen konnten wie ihre geläuterten Enkel. Denn auch die damaligen Machthaber standen im radikalen Gegensatz zu dem Geist und der Weltanschauung, die diese erhabene Architektur ersann und bewohnte. So war es nicht verwunderlich, daß in den über tausend Räumen keine wichtige Institution und keine staatstragende Person Platz fand – man stelle sich des Führers Privatgemächer im Kronprinzessinnentrakt vor! Oder die Staatskanzlei im Weißen Saal! Absurd! Dabei waren die Eliten des Dritten Reiches dem Pomp ebensowenig abhold wie die der späten Bundesrepublik. Schloß Bellevue, Reichstag, Bundesrat und Kanzleramt sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Doch das Stadtschloß verweigerte sich als Kulisse und überdauerte trotzig selbst den Bombenkrieg. Was heute sogar von den Salonsozialisten als Kulturbarbarei gebrandmarkt wird, die Sprengung des Schlosses 1950 aus ideologischen Gründen, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als konsequentester – und daher ehrlichster – Akt einer Weltanschauung, die mindestens seit 1789 klar bis in die Jetztzeit zu verfolgen ist und auf die sich auch die Bundesrepublik beruft. Deswegen steht den Bürgern dieses Landes – auch im Westen – der Palast der Republik sehr viel näher als das Hohenzollernschloß. In der Debatte, die ja immer vor allem eine ästhetische ist, wird dieser Zusammenhang nicht beleuchtet. Statt dessen spricht man von einem „einzigartigen Bauensemble“ in der Mitte Berlins, das ohne Schloß nicht vollständig sei. Das mag richtig sein. Sobald die Schloßbaumeister jedoch in die Dimension des Politischen vorstoßen und das Symbolische des Platzes für die ganze Nation bemühen, klingen die Argumente hohl. Royalistische Herrschaftsarchitektur steht nun mal nicht für die Moderne. Wenn also wider Erwarten Honeckers entkernter „Lampenladen“ planmäßig abgerissen und wie vorgesehen eine „gärtnerische Übergangslösung“ für das gesamte Areal gefunden würde, wäre es am besten, man ließe die Fundamente des Schlosses in Ruhe unterm Gras. Das solchermaßen provozierte Gefühl des Verlustes, das sich bei einigen wenigen angesichts einer großen Parkanlage zwischen Dom und Bauakademie einstellen würde, wäre vielleicht der größte Gefallen, den man dem alten Schloß tun könnte. Ganz nebenbei hätte man das treffendste Symbol für das heutige Deutschland besonders kostengünstig verwirklicht: eine Wiese. Foto: Palast der Republik (2003): In die Moderne paßt nun mal keine royalistische Herrschaftsarchitektur

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