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„Der Doktor war ein Matrose“

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„Der Doktor war ein Matrose“

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Hans-Joachim Arndt war – wie er in einem Festschriftenbeitrag für Armin Mohler konstatiert hat – unter der Kriegsgeneration der einzige Ordinarius für Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, der vor 1945 als Erstberuf die Laufbahn des aktiven Marineoffiziers gewählt hatte. Seine Sozialisation in der Marineoffiziers-Crew Jahrgang 1940 der Marineschule Mürwik und seine Teilnahme am Weltkrieg als Marineoffizier, zuletzt auf dem Torpedoboot T 16, sollten Hans-Joachim Arndt herausragend prägen. Nicht nur, daß er jenen aktiven Jahren einen vornehmen Platz in seinen Erinnerungen einräumte (und sich über die Äußerung seines Heidelberger Kollegen Klaus von Beyme tief verärgert zeigte, er – Arndt – habe seine „besten Jahre“ im Kriege vergeudet) – sie bestimmten auch die Entwicklung seines Forschungsinteresses. Letztlich verdanken wir dem „Matrosen“, als welchen ihn 1957 der damals dreijährige Sohn Armin Mohlers entlarvte, und seiner Sozialisation die Einführung der Politischen Lageanalyse in die Politische Wissenschaft. Die messerscharfe Analyse der jeweiligen Lage, die Voraussetzung erfolgreichen militärischen Handelns ist, sollte sein ganzes Leben begleiten. Am 15. Januar 1923 in Magdeburg geboren, studierte Arndt Nationalökonomie und Soziologie in St. Louis und Harvard, Paris und Heidelberg. Neben seinen akademischen Lehrern Alfred Weber, W. Y. Elliot und Henry Kissinger führte es ihn früh schon zu Carl Schmitt; zudem knüpfte er umfangreiche Kontakte mit Intellektuellen, die später die Geisteswissenschaften der jungen Bundesrepublik prägten, wie Rüdiger Altmann, Erwin Faul, Ernst Forsthoff, Arnold Gehlen, Hanno Kesting, Armin Mohler, Roman Schnur, Nicolaus Sombart, Jacob Taubes und Friedrich Tenbruck. Forsthoff war es im übrigen, der nach mehreren Versuchen der Heidelberger Universität, einen Nachfolger für den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft von Carl Joachim Friedrich zu berufen, 1968 die Angelegenheit in die Hand nahm und Arndt überredete, seine berufliche Tätigkeit in der Unternehmerbildung zugunsten der Übernahme eines Lehrstuhls aufzugeben. So kam Arndt an das Heidelberger Institut für Politische Wissenschaft, das sich gerade zu einem Brennpunkt der Studentenradikalisierung in Deutschland entwickelte. Viel Zeit zur Akklimatisierung in diesem aufbrodelnden Hexenkessel gewährte man Arndt nicht – und er ließ sich hinsichtlich seiner Standhaftigkeit auch nicht lange bitten. Schon seine Antrittsvorlesung zum Thema „Verfassungsstandard und Gebietsstatus“ war ein Paukenschlag für den, der es verstehen wollte. Hier offenbarte sich bereits Arndts anormativ-historisches Verständnis der Politischen Wissenschaft, wenn auch auf einem relativ abstrakten Feld. Deutlicher wurde er in seinen Lehrveranstaltungen, in denen er die Politische Lageanalyse zur Anwendung brachte. Trotz aller Anfeindungen waren seine Vorlesungen zur „Geschichte der politischen Ideen“ ständig überfüllt, waren – wie ein Zeitzeuge berichtet – „für jeden Hörer ein Genuß und eine Ahnung von dem, was die deutsche Universität einmal war, bevor sie anfing, Scheine zu verteilen“. In den Jahren bis 1973 avancierte er aufgrund seiner Courage, die Dinge beim Namen zu nennen, zunehmend zur expliziten Zielscheibe (im Sinne des Wortes) der Heidelberger Achtundsechziger-„Revolutionäre“. 1972 sah er sich gar zur Unterbrechung seiner Lehrtätigkeit gezwungen; sowohl sein Fachverband wie auch die baden-württembergische Landesregierung zeichneten sich dabei durch mangelhaftes Stehvermögen aus. Der Bruch mit der Gesellschaft für Politische Wissenschaft, die Arndt 1973 verlassen hatte, manifestierte sich in seinem 1978 erschienenen Hauptwerk „Die Besiegten von 1945“, mit dem er den „Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ vorlegte. Das war eine Herausforderung und machte Arndts Verständnis von einer „politischen“ Wissenschaft deutlich: Ihre Aufgabe könne allein darin liegen, anormativ und historisch die jeweilige konkrete Lage eines konkreten politischen Subjekts zu analysieren und damit der Politik konkrete analytische Hilfen an die Hand zu geben. Arndts Subjekt waren die Deutschen in der politischen Lage der Zeit nach 1945. Demgegenüber hatte die etablierte „Politische Wissenschaft“ in der Bundesrepublik das Situationsbewußtsein der Deutschen, „ein besiegtes Volk zu sein“, durch wissenschaftlich nicht ausgewiesene Abstraktionen und Systemkonstrukte verdrängt. Damit aber konnte sie sich keine Klarheit über ihren Gegenstand schaffen, ließ sie doch die Subjekte der Politik – Staaten, Nationen, Verbände usw. mit ihren historisch gewachsenen einzigartigen Lagen – in abstrakten, universell geltenden Systemmodellen verschwinden. Schlimmer noch: Sie leitete dann aus diesen Modellen wiederum universell geltende Aussagen ab, die keinen Bezug zur Realität der Politiksubjekte aufweisen. Was das für Arndts Subjekt bedeutete, war eindeutig: „Jedenfalls scheint uns die Konzentration oder gar Beschränkung einer Politikwissenschaft auf diesen Systemansatz geeignet (und besonders dann, wenn er als abgeschlossen, vollständig zur Erklärung des Politischen gilt), um ‚Deutschland‘ nach 1945 mit einem politischen Bewußtsein auszustatten, ohne daß überhaupt die Frage nach dem ‚wer‘, nach der Identität, ins Spiel gebracht zu werden brauchte. So haften denn der Politischen Wissenschaft wie der politischen Bildung in starkem Maße Elemente einer abstrakten Regel- oder Normenordnung an, die für ‚jedermann‘ Geltung haben sollte, dies aber nicht in überzeugender Weise leistete, eben weil die Deutschen als Besiegte von 1945 nicht ‚jedermann‘ waren.“ Das Verdikt seitens des etablierten Wissenschaftsbetriebes war total. Rasch wurde Arndt zum Feind der Zunft erklärt, der er doch selber angehörte. Er aber legte noch nach: Im Auftrag der Bayerischen Staatskanzlei legte er 1981 ein wissenschaftliches Gutachten über „Die staatlich geförderte Friedens- und Konfliktforschung“ vor, das unter den von solch wirklichkeitsfremden Brahmanismus lebenden „Kollegen“ zu lautem Wutgeschrei führte. Bis zu seiner Emeritierung und noch darüber hinaus sollte sich das Verhältnis nicht mehr einrenken. Assistenten wurden bis in den Selbstmord getrieben, Schülern versuchte man nicht nur die akademischen Weihen, sondern auch jede berufliche Zukunft zu verwehren. Arndt jedoch blieb standhaft, auch weil in den letzten anderthalb Jahrzehnten zunehmend wieder Schüler auftauchten, kritisch beäugt vom Rest des Lehrbetriebs, denen er das analytische Werkzeug an die Hand gab. Am 3. Oktober ist Hans-Joachim Arndt im 82. Lebensjahr verstorben. Gegen jede heuchlerische Stellungnahme der Heidelberger Universität hat er sich verwahrt. Arndt war persönlich ein Mann von Format und Geist. Als akademischer Lehrer war er brillant und souverän. Fachlich war er Nominalist und Etatist – „politisch“ aber war er nicht, eher schon ein Anarch der deutschen Geisteswissenschaft. Der Doktor war eben ein Matrose! Dr. Markus Klein ist Mitherausgeber von „Politische Lageanalyse. Festschrift für Hans-Joachim Arndt zum 70. Geburtstag am 15. Januar 1993“,. San Casciano Verlag, Bruchsal 1993, 423 Seiten, brosch., 20 Euro. Der Sammelband enthält u.a. Beiträge von Dieter Blumenwitz, Robert Hepp, Panajotis Kondylis, Günter Maschke, Armin Mohler, Helmut Quaritsch, Hans-Dietrich Sander, Caspar von Schrenck-Notzing, Piet Tommissen, Rudolf Übelacker, Karlheinz Weißmann. Deutschlandrat Einen konkreten Versuch, Einfluß auf die Politik zu nehmen und die 1982 von Helmut Kohl proklamierte, aber dann nicht eingetretene Wende intellektuell zu unterfüttern, unternahm Hans-Joachim Arndt 1983 als Mitglied in dem von Armin Mohler ins Leben gerufenen „Deutschlandrat“. Neben Arndt gehörten ihm die Professoren Hellmut Diwald, Bernard Willms, Robert Hepp und Wolfgang Seiffert sowie der Journalist Franz Schönhuber an. In einem Kommuniqué des „Deutschlandrates“ hieß es: „Wir können weder außenpolitisch noch innenpolitisch dauernd in einem Ausnahmezustand leben. Wir wollen wieder eine normale Nation sein. Dazu gehört die Entkriminalisierung unserer Geschichte als Voraussetzung für ein selbstverständliches Nationalbewußtsein. Nur dieser Weg führt zur Wiederherstellung Deutschlands.“ Reaktionen auf die Erklärung gab es kaum, und so fiel der „Deutschlandrat“ schnell wieder dem Vergessen anheim. (JF)

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