Dreizehn Spielfilme hat der 1928 in New York geborene Stanley Kubrick gedreht und mit ihnen Filmgeschichte geschrieben. Gemeinsam mit dem benachbarten Architekturmuseum zeigt das Frankfurter Filmmuseum auf rund 1.200 Quadratmetern nun erstmals Requisiten aus dem Nachlaß des amerikanischen Regisseurs. Den meisten Cineasten galt Kubrick als Exzentriker, Eigenbrötler und Besessener, aber auch als filmischer Philosoph. Und tatsächlich gewährt die Ausstellung Einblicke in sein Gesamtwerk und in seine Denk- und Arbeitsweise, die dem Kinozuschauer bislang weitgehend verwehrt geblieben waren. Fast ein Vierteljahr sichteten Mitarbeiter des Filmmuseums auf Kubricks Landsitz nördlich von London eine gewaltige Fülle von Materialien. Tatkräftig unterstützt von der deutschen Witwe des Kinomeisters, Christiane Kubrick – einer ehemaligen Schauspielerin, die er bei den Dreharbeiten zu „Wege zum Ruhm“ in Deutschland kennengelernt hatte und mit der er 46 Jahre verheiratet war -, wählten sie die Objekte für die Ausstellung aus. Für jeden einzelnen der dreizehn Filme gibt es eine eigene Installation, allein für diese Präsentationen wäre der Platz im Filmmuseum zu knapp gewesen. So kann man nun in beiden Museen neben den Installationen und größeren Requisiten auch Hunderte von Büchern, Zetteln, Fotos, Briefen, Karteikästen mit Materialien und nie verwirklichten Entwürfen zu geplanten Kinoprojekten besichtigen. Kubricks Karriere von seinen Anfängen als jüngster Fotograf der Zeitschrift Look über seine ersten Spielfilme in den fünfziger Jahren bis hin zu „A.I. – Artificial Intelligence“, den Steven Spielberg nach Kubricks Tod 1999 inszenierte, wird auf diese Weise anschaulich thematisiert und dokumentiert. Kubrick zwang das Publikum zur Konfrontation Selbst die in einem Zettelkasten abgelegten schriftlichen Vorarbeiten zu einem nicht realisierten Napoleon-Film und ein Bücherschrank mit Literatur über den französischen Kaiser gehören zu den Requisiten, die in der Ausstellung zu sehen sind. Statt eines Films über Napoleon hatte Kubrick seinerzeit lieber den Historienfilm „Barry Lyndon“ nach dem Roman von William Makepeace Thackeray gedreht. In den Jahren 1973/75 von ihm selbst produziert ist der Mitte des 18. Jahrhunderts spielende Film um einen nach Kriegsdienst in den englischen und preußischen Armeen durch Heirat in die höchsten gesellschaftlichen Kreise aufgestiegenen jungen Iren, der an seiner Skrupellosigkeit und Verschwendungssucht scheitert, ein vielschichtiges Zeitporträt, in dem sich dank des konsequenten Stilwillens des Regisseurs und des bis ins Detail künstlerisch kontrollierten Aufwands private und gesellschaftliche Dimensionen nahtlos verbinden. Im verkleinerten Modell ist der berühmte „War Room“ aus Kubricks böser Atomkriegs-Satire „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte die Bombe zu lieben“ (1963) im Architekturmuseum zu sehen. Kaum jemals wurde das sogenannte „Gleichgewicht des Schreckens“ intelligenter und zugleich zynischer als ein labiles Konstrukt entlarvt, das jederzeit durch banale Zufälle und menschliche Schwächen zum Alptraum werden kann, als mit der grotesken Stilisierung der Figuren und Schauplätze, zu denen vor allem jener „Saal für Kriegsstrategie“ gehörte. Gleich nebenan findet der Besucher die Requisiten aus „Full Metal Jacket“ (1987). Schnellfeuergewehr und Stahlhelm beschreiben hier die Realität des Krieges, ein Thema, das den Regisseur immer wieder beschäftigte, mit dem er sich schonungslos auseinandersetzte und auch das Publikum in eine Konfrontation mit dem unmittelbar Gezeigten zwang. Während Oliver Stone in „Platoon“ den Vietnam-Krieg ästhetisierte und auf pathetische Bilder nicht verzichten mochte, löste sich bei Kubrick die drastische Bebilderung des vielschichtigen Grauens immer stärker von der historischen Realität Vietnams und verweigerte dadurch eine konkrete politische, ethische und historische Perspektive. Während Menschlichkeit und Werte längst der überharten Ausbildung in einem Trainingslager der US-Marines zum Opfer gefallen und die Rekruten ihrer Identität beraubt sind, stehen Gewehr und Helm im Grunde für die chaotische Hölle jedes Krieges. Als großes Modell ist die eigens für „Uhrwerk Orange“ (1970/71), seinen wohl umstrittensten Film, gebaute Milchbar zu sehen. In dieser bitterbösen Filmfarce nach Anthony Burgess‘ Romanvorlage analysierte Kubrick mit grimmiger Konsequenz die Vergewaltigung und Mechanisierung des Individuums in einer bis zur Leblosigkeit bürokratisierten und technisierten Zivilisation und attackierte den hysterischen Hedonismus der Konsumkultur und die Wirkungs- und Manipulationsmöglichkeiten visueller Medien. Gleich gegenüber findet man im größten Raum den begehbaren Nachbau des Bordcomputers HAL aus „2001: Odyssee im Weltraum“ (1965/68). Kubricks Blick in die Unendlichkeit des Universums gehört nicht nur zu den atemberaubendsten Schöpfungen der Filmgeschichte, sondern setzte auch Maßstäbe im Science-Fiction-Genre. Ein kühner gedanklicher Entwurf, nicht minder kühne optische Effekte und eine revolutionäre Tricktechnik verschmolzen zu einer Weltraumoper von überwältigendem Ausmaß. Und tatsächlich gelingt es dem Besucher der Ausstellung, sich noch einmal in das technische Utopie und kulturphilosophische Spekulationen vereinende phantastische Kinoabenteuer Kubricks hineinzuversetzen, wenn er die als kleines Guckkastenmodell aufgebaute zentrifugenförmige Raumstation bewundert, in der die Astronauten sich scheinbar schwerelos bewegen. Seine Obsession für Labyrinthisches lebte der Regisseur in dem effektvollen Horrorthriller „Shining“ (1980) aus. Der Film ist eine virtuos inszenierte Studie über die Wechselwirkung von Realität und Schein, Wirklichkeit und Illusion und nicht zuletzt auch über die traumatischen Abgründe, die sich bisweilen jenseits des normalen Menschenverstandes auftun. Das labyrinthische Haus, ein einsames Berghotel in den verschneiten Bergen von Colorado, in dem ein Schriftsteller mit seiner Familie den Winter als Hausmeister verbringt, provoziert Halluzinationen, stürzt ihn in eine Identitätskrise bis hin zur zwanghaften Wiederholung eines Mordes, der vor vielen Jahren in dem Hotel geschah. Mit knapper Not entgehen seine Frau und sein kleiner Sohn schließlich der Axt-Attacke des dem Wahnsinn Verfallenen. Mit der eher konventionellen Geschichte aus Stephen Kings Feder, die zu einer Symphonie des Grauens ausartet, führte Kubrick den Zuschauer konsequent in die Irre, bestätigte jedoch gleichzeitig die Genreerwartungen: eine ausgesprochen artifizielle Gratwanderung, die in dem winterlichen Garten-Labyrinth vor dem Hotel dann ihr überraschendes Ende findet. In einer der unheimlichsten Szenen von „Shining“ tippt Jack Nicholson, der den Schriftsteller Jack Torrance spielt, viele hundert Male den Satz „All work and no play makes Jack a dull boy“ – in der deutsch synchronisierten Version hieß das „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ – in seine Schreibmaschine. Die beschrifteten Blätter zeigt die Ausstellung ebenso wie die Schreibmaschine. Darüber hängen zwei Bilder, auf dem einen ist der mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch schlafende Nicholson zu sehen, das andere präsentiert Goyas Radierung „Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor“: ein Verweis auf Kubricks Liebe zur bildenden Kunst. Bilder und Szenenfotos aus Kubricks frühen Filmen „Der Tiger von New York“ (1955), „The Killing“ (1956), „Wege zum Ruhm“ (1957) und „Spartacus“ (1959/60), der 1992 als rekonstruierte, ungekürzte Originalfassung noch einmal in die Kinos kam, rufen Erinnerungen an unvergeßliche Kino-Erlebnisse wach. „The Killing“, der in Deutschland unter dem Titel „Die Rechnung ging nicht auf“ lief und den manche Kritiker bis heute für den besten Film des damals erst 28jährigen Regisseurs halten, gehört zu den Meisterwerken der „schwarzen Serie“: ein intelligenter, packender Thriller, der durch seine Besetzung ebenso besticht wie durch seine ausgeklügelte Bildsprache, die die spannungsgeladene Beziehung zwischen den Protagonisten augenfällig dramatisiert. Mit kühler Präzision und einem Anflug von bitterer Ironie inszenierte Kubrick die Geschichte um eine mehr durch Zufall zusammengefundene Bande Krimineller, die ein Wettbüro überfällt, aber deren akribisch ausgetüftelter Plan an einer Reihe von unvorhergesehenen Zufällen und menschlicher Habgier blutig scheitert. Viele hundert Male tippt Nicholson denselben Satz Mit der Grausamkeit des Krieges hatte sich Kubrick erstmals in „Wege zum Ruhm“ (1957) auseinandergesetzt. Im Auftrag des Produzenten und Hauptdarstellers Kirk Douglas und mit einem Budget von knapp 900.000 Dollar inszeniert, gilt er als einer der besten Antikriegs-Filme. In seiner tragikomischen Filmbearbeitung des „skandalösen“ Nabokovschen Romans „Lolita“, die Kubrick mit eigenständigen Elementen von permanenter Doppeldeutigkeit und glänzend entwickelten Dialogen versah, ging es hingegen um die sexuellen Versuchungen eines alternden Literaturdozenten, der der frühreifen Tochter einer Witwe verfällt. Um in der Nähe der von ihm vergötterten Kindfrau zu sein, heiratet er die ungeliebte Mutter. Humbert Humberts tragische Liebe zu dieser „Nymphe“ endet schließlich in einer Bluttat. Kubricks geniale Regie machte aus „Lolita“ (1961) einen surrealistischen Alptraum, in dem selbst die Ausstattungs- und Einrichtungsgegenstände, vor allem aber seine behutsame Führung der Schauspieler von der Perfektion des Regisseurs zeugen. Auch in seinem letzten Film „Eyes Wide Shut“ (1999), der in Anlehnung an Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ entstand, geht es um die Zerstörung erotischer Liebe durch sich verselbständigende sexuelle Triebkräfte. In suggestiven Szenefolgen mischen sich Traum und Realität, der psychoanalytische Ansatz leidet jedoch durch die Verlegung der Handlung ins heutige New York. Dafür darf der Besucher der Schau durch ein kleines Guckloch beobachten, wie Tom Cruise zum Voyeur wird. Daß Kubrick ihn mit dieser Szene selbst zum Voyeur macht, wird dem Zuschauer erst später bewußt. Die Ausstellung ist bis zum 4. Juli im Filmmuseum und im Architekturmuseum in Frankfurt am Main zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro inklusive. Kurzführer. Tel.: 069 / 21 23 88 30. Internet: www.stanleykubrick.de Foto: Stanley Kubrick (1928-1999) bei Dreharbeiten zu „Odyssee im Weltraum“: Konsequenter Stilwille Foto: Dreharbeiten zu „Spartacus“ (1959/60), Filmszene aus „Full Metal Jacket“ (1987): Chaotische Hölle