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Am Wortmüll genesen

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Wolfgang Pohrt hat es Freund und Feind nie leicht gemacht. Ob er 1968 bei den Mitgliederversammlungen des Frankfurter SDS seine Genossen mit Marathon-Reden nervte, in den achtziger Jahren via seiner damaligen Hauszeitschrift Konkret der Friedensbewegung pauschal „sekundären Nationalismus“ unterstellte oder 1984 auf dem Hamburger Adorno-Symposium in seinem polemischen Beitrag „Kulturvergötzung“ den versammelten „Adorniten“ ein „parasitäres Verhältnis zum Gegenstand“ vorwarf: Immer suchte er, anstatt sich in linken Ritualen zu ergehen, die ideologiekritische Auseinandersetzung mit den seichten Tendenzen eines linken Moralismus. Pohrts einsamer Widerstand gegen die Zuckergußvariante der verlogenen linksradikalen Öffentlichkeitsrhetorik hat nun zu mächtiger Aufregung über seinen jüngst erschienen Sammelband „FAQ“ (Frequently Asked Questions) geführt. Taz und Jungle World reagierten prompt, erstere leidlich wohlwollend, letztere hingegen mit der in den „antideutschen“ Kreisen üblichen gebetsmühlenhaft wuchernden Ausbreitung von Suggestivbegriffen. Tatsächlich war die Entwicklung des Wolfgang Pohrt vom Guru der „Nationalallergiker“ zum Antitotalitätsdenker voraussehbar. Schon in den neunziger Jahren ging ihm die affirmative Scheinreflexion des linken Postmodernismus so auf die Nerven, daß er in seinem Buch „Brothers in Crime. Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit“ (1997) die Auflösung der herkömmlichen sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und die Heruntergekommenheit der politischen Klasse in einer Weise beschrieb, die nur als kulturpessimistisch bezeichnet werden kann. Daß der Urvater der „Antideutschen“ schon damals auf Distanz zu den 68er-„Errungenschaften“ ging, hätte eigentlich jedem auffallen müssen, aber man rätselte wohl noch, ob das alles populistisch oder zutiefst ironisch zu lesen sei. Solch intellektuelle Genügsamkeit ist dort, wo Andacht das Denken ersetzt hat, gar nicht so selten. Pohrts mißratene Kinder, die „Antideutschen“, deren falsche Unmittelbarkeit und fetischistischen Formzwänge ihre Träger inzwischen in den Zustand einer totalen Infantilität geführt haben, glaubten noch bis zum 30. September 2003, er sei einer der ihren. Doch der hatte die psychopathologische Ebene jenes grassierenden Obskurantismus längst hinter sich gelassen. Darauf hatte bereits einen Tag später Die Jüdische hingewiesen: „Der bekannte ehemalige Gesellschaftskritiker und Journalist Wolfgang Pohrt ist am Dienstagabend im Alter von 57 Jahren in Berlin im Veranstaltungszentrum Tempodrom an seinem eigenen Wortmüll erstickt.“ Tatsächlich hatte dieser dort nur den schweren Mangel seiner „antideutschen“ Fans an Abstraktionsvermögen beklagt und den primitiven weltanschaulichen Materialismus aufklärerischer und vulgärmarxistischer Provenienz als völlig ungeeignet bezeichnet, mit dem heutigen Krisenfundamentalismus fertig zu werden. Was war geschehen? Auf Einladung des „Berliner Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus“ (BgAA) sollten Pohrt und der Berufszyniker Henryk M. Broder in einer Podiumsdiskussion über den Zustand Deutschlands referieren. Das gipfelte darin, daß sich Pohrt nicht in der Lage sah, „irgend etwas hervorstechend Fremdenfeindliches oder Antisemitisches zu erkennen, daß aus der Tiefe der deutschen Seele kommen und sich dort aus ergiebigen Quellen speisen“ würde. Das Publikum hörte zunächst noch mit ungläubigem Staunen und zusammengebissenen Zähnen zu und war am Ende außer sich. Franz Schandl sah sich genötigt, in der Jungen Welt einerseits den Referenten vor den „Kohorten aufgeputschter antideutscher Youngsters“ in Schutz zu nehmen, andererseits aber davor zu warnen, „daß nämlich der durchgeknallte Philosemitismus in den ordinären Antisemitismus kippt“. Nun griff Robert Kurz, Chefideologe der marxistischen „Krisis“-Gruppe, ein. Zunächst konzedierte er Pohrt, „einen einzigen im strengen Sinne theoretischen Text verfaßt“ zu haben, und zwar vor 27 Jahren seine „Theorie des Gebrauchswerts“. Selbst Pohrts Pamphlete gegen die im Kontext des Niedergangs der Siebziger-Jahre-Linken zu einem zweifelhaften Moralismus herabgesunkenen Friedensbewegung seien „glänzend formuliert“ gewesen. Später hätten sich die „Antideutschen“ wie „Kleptomanen beim Kaufhausdiebstahl“ aus dem „Pohrtschen disparaten Opus“ bedient. Der habe sich jedoch jahrelang nicht zur „Ausdeutung seiner Texte durch den antideutschen Bellizisten-Mob“ geäußert. Kurz vermutet in dem publizistischen Verstummen „die Konsequenz dieser Entwicklung zum ideologischen Borderliner“ und prophezeit für die nahe Zukunft „zahlreiche Ex-Antideutsche als Auschwitzverharmloser und Geschichtsrevisionisten“. So weit wollte die taz dann doch nicht gehen. Zwar habe sich Pohrt nach Kräften über die „Antifa“-Hysterie lustig gemacht und angebliches deutsches Weltmachtstreben in den Bereich des Lächerlichen verwiesen, man müsse aber vor allem sein neues Buch „FAQ“ lesen, um sämtliche Implikationen seines inkriminierten Vortrags zu verstehen. Für die Jungle World ist er dagegen mit Aussagen wie „Menschen brauchen soziale Kontrolle, und für die Ausländer in Deutschland gibt es davon derzeit zu wenig“ endgültig in der deutschen Vulgärdemokratie angekommen.

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