Immer wieder fasziniert ist Pankraz von dem bekannten Vers aus der "Pharsalia" des Lucanus: "Victrix causa Deis placuit, sed victa Catoni", zu deutsch: "Die siegreiche Sache gefiel den Göttern, doch dem Cato gefiel die Sache der Besiegten".
Die Faszination hat viele Gründe. Da ist zunächst der Dichter, Marcus Annaeus Lucanus (3.11.39 n.Chr. bis 30.4. 65), ein Neffe Senecas, ein amüsiertes, keckes Genie, das seine Werke als ganz junger Kerl hinwarf und dafür zunächst gewaltig gefeiert wurde. Alles fiel ihm zu, und Lucanus machte mit nachtwandlerischer Sicherheit und in Windeseile das Allerbeste daraus.
Er gehörte zur jeunesse dorée des glitzernden Neronischen Roms, wo man – da Nero selber dichtete und literarisch interessiert war – als Dichter schnell zu allerhöchsten Ehren aufsteigen konnte. Man mußte, wenn begabt, nur den Kaiser und seine Gesänge loben, und Lucanus tat das mit ungenierter Übertreibung und blendendem Schwung. Sein Intimus war der mädchenhaft feine, aber möglicherweise noch frechere Persius Flaccus; gemeinsam streuten sie die beißendsten Satiren auf Rom und die Welt aus, und bald geriet ihnen auch der dichtende und klampfende Kaiser ins Visier.
Nero war eifersüchtig auf das Können Lucans; nun fand er auch noch Grund, ihn wegen politischer Unkorrektheit zu tadeln und abzustrafen. In der "Pharsalia" hatte Lucanus die Karten offen auf den Tisch geschmissen: Er war gegen die Cäsaren, die nun schon seit drei Generationen als "principes", als "Führer", die Republik gängelten und entstellten, und er faßte seinen Affront derart in Ingrimm und formale Vollendung, daß den Lesern und Hörern schier das Herz stehenblieb. Lucans Tage waren gezählt. Im Jahre 63 kam das Vortragsverbot, 64 das Schreibverbot, 65 die Verurteilung. Der Dichter, gerade 25, beging Selbstmord, in stoischem Gleichmut.
Auch wenn wir seine stolze Vita nicht kennten, bliebe die Faszination durch die zehn erhaltenen Kapitel der "Pharsalia". Sie schildern den (Bürger-)Krieg Cäsars gegen Pompeius und Cato den Jüngeren, und Lucanus tritt voller Leidenschaft für Pompeius/Cato und den Erhalt der Republik ein. Er fragt dabei gar nicht so sehr nach den politischen Gründen, was also besser sei, Monarchie oder Republik; bereits das von Anbeginn bestehende Ungleichgewicht der Kräfte, die erdrückende materielle Überlegenheit Cäsars und daß er den Zeitgeist, den Zuspruch der "Öffentlichkeit" im Reich, auf seiner Seite hat, empört den jungen Dichter.
Die Götter, so klagt er, sind auf der Seite Cäsars und damit gegen die Republik, für den Usurpator und Imperator, was doch eigentlich zum Himmel schreit. Aber die Götter sind eben feige, bequeme Schweine, sie sind viel zu faul, um die Führung des Geschehens zu übernehmen, sie warten ab, und ihnen gefällt im nachhinein immer die siegreiche Sache, die victrix causa, besonders jener Göttin gefällt sie, die sich an führender Stelle ins Kampfgeschehen einmischt, obwohl sie ein butterweiches, dummes Frauenzimmer ist: der Göttin Fortuna, die "das Glück" verwaltet und es in launischster Weise ausstreut.
Es geht, erkennt Lucanus mit jugendlicher Bitterkeit, in der Geschichte und insbesondere im Krieg gar nicht um Gerechtigkeit, sondern ein finsteres Fatum waltet, worin die launischen Götter lediglich eine total unernste Nebenrolle spielen. Schon deshalb gilt des Dichters Sympathie voll und ganz und von vornherein den Unterlegenen, dem Pompeius und vor allem dem Cato, den er planvoll mit einer für die damalige Zeit neuartigen Gloriole umgibt, mit der Gloriole dessen, der weiß, daß er untergehen wird, und trotzdem bis zum bitteren Ende kämpft.
Nachdem Pompeius 48 v. Chr. bei Pharsalus von Cäsar total besiegt worden war, gab er auf, er strich die Segel und emigrierte nach Ägypten (wo ihn der Pharao hinterrücks ermorden ließ, um sich bei Cäsar lieb Kind zu machen). Cato aber sammelte die Getreuen, die überlebt hatten, und stellte sich bei Thapsus in Numidien einer letzten Schlacht. Denn: "Victrix causa Deis placuit, sed victa Catoni."
Dem Cato gefiel die Sache des Pompeius und der Republik, und deshalb trat er bis zuletzt für sie ein. Er hoffte nicht mehr auf den Sieg, doch er sah, daß die Republik ein Beispiel brauchte, welches die Zeiten überdauern und für die Sache der Besiegten bürgen konnte. Dieses Beispiel richtete er bei Thapsus ab, bevor er sich ins Schwert stürzte, um nicht als Besiegter im Triumphzug Cäsars mitgeführt und vorgezeigt zu werden.
Cato ist damit, wenn man will, zum ersten "existentialistischen" Helden der Weltgeschichte geworden und sein Hagiograph Lucanus zum ersten existentialistischen Schriftsteller der abendländischen Literatur. Er hat empfindliche Leser darauf aufmerksam gemacht, daß die Sache der Besiegten, einerlei wie nun die Götter und der Zeitgeist darüber entschieden haben, stets die bewegendere, interessantere Sache ist, eine Sache, die Anteilnahme erheischt und die man penibelst erforschen und durchleuchten muß.
Demgegenüber ist die Sache der Sieger eine grobe Tischplatte, Anlaß für ewige Triumphreden und Feiertags-Zechereien, im Grunde langweilig und sogar degoutant. Außerdem verführt sie zu voreiligen Schlüssen. "Noch einen solchen Sieg, und wir sind verloren", stöhnte einst König Pyrrhus. Und der weise Machiavelli, nach verbreitetem Vorurteil immer auf der Seite der Sieger, warnt in seiner "Geschichte von Florenz" nachdrücklich: "Nur der Sieger ist klug, der sich mit einem halben Sieg begnügt, und derjenige verliert immer, der einen Sieg bis zur Vernichtung des Gegners vortreibt."
Im Ganzen betrachtet gibt es im endlichen Dasein sowieso nur Niederlagen, die eine kommt früher, die andere später. Deshalb ist Cato mit seiner "victa" nicht nur tapferer, sondern auch der bessere Denker.