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Mutiges Bekenntnis

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Vor zehn Jahren löste Botho Strauß in der Bundesrepublik einen heftigen Streit aus. In seinem Essay „Anschwellender Bocksgesang“, der zunächst im Spiegel erschien und später in dem von Heimo Schwilk und Ulricht Schacht herausgegebenen Band „Die Selbstbewußte Nation“ (1995) aufgenommen wurde, stellte der 1944 in Naumburg an der Saale geborene Dichter den linksliberalen Grundkonsens radikal in Frage. Er kritisierte die bundesrepublikanische „Nachkriegsintelligenz“, die immer nur das eine sehen wollte: „die Schlechtigkeit der herrschenden Verhältnisse“ und wandte sich gegen die „Gewissenswächter“, gegen den „verklemmten deutschen Selbsthaß“ und „linksliberalen Konformismus“ mit seinem „Vokabular der Empörungen“. Auch die Medien wurden vom bedeutenden Dramatiker und Prosaisten scharf attackiert. Das „Regime der telekratischen Öffentlichkeit“ sei „die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus der Geschichte“. Es kenne im Grunde genommen „keine Untertanen und Feinde.“ Es kenne nur „Mitwirkende, Systemkonforme“. Botho Strauß bekannte sich offen zu einer „rechten“ Position des Außenseiters. Damit sei nicht der „Griff in den Secondhandshop der Unheilsgeschichte gemeint“, sondern ein anderer Akt der Auflehnung: „gegen die Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will.“ Mit der Wahrnehmung einer Ziel- und Orientierungslosigkeit verband Strauß die Hoffnung auf eine nach-moderne gesellschaftliche und politische Zeitenwende. Vor allem bei den Linken war die Entrüstung enorm. Daß sich ein Schriftsteller und Intellektueller entschieden zu einer neu verstandenen „rechten“ Position bekannte, stieß in Kreisen der linksliberalen Intelligenz auf große Empörung. Sofort wurde der unbequeme Autor verdächtigt, „faschistisches“ Gedankengut zu verbreiten. „Kritische Intellektuelle“ nahmen auf ihre Art und Weise „Abschied“ von Botho Strauß. So konstatierte der Schriftsteller Volker Ludwig, daß der „hochgepriesene Autor“ in einem „braungesprenkelten Kackhaufen“ sitze und sich „in eben dieser Pampe ganz wohlfühle“. Ludwigs Schriftstellerkollege Maxim Biller drohte damit, daß die „Verletzung von Persönlichkeitsrechten“ noch „das mindeste“ sei, womit Leute wie Botho Strauß zu rechnen hätten, die in ihren Texten für die „Wiedergeburt einer neuen Rechten“ kämpften. Die Rezeption bestätigte auf diese Weise die von Strauß beklagte Ausgrenzung des Nonkonformen aus dem öffentlichen Diskurs. Auch Strauß‘ positive Haltung gegenüber Ernst Jünger wurde kritisiert. Auf seiner Suche nach alternativen Anknüpfungspunkten pries Strauß die diagnostische Qualität Jüngers gegenüber einer „fortschrittlichen“, auf Verbesserung der Gesellschaft gerichteten Literatur. Strauß rühmte Jüngers Werk als „Refrain einer tieferen Aufklärung“ und sprach ihm „Schlüsselcharakter“ für die Literatur des 20. Jahrhunderts zu. „Die Epoche der deutschen Nachkriegsliteratur wird erst vorüber sein, wenn allgemein offenbar wird, daß sie vierzig Jahre lang vom Jüngerschen Werk überragt wird. Er ist nach dem Krieg der Vergegenwärtiger, der Gegenwartsautor schlechthin gewesen. Zwar nicht im Sinne des kritischen Realisten, dafür aber auf magisch-schauende, immer prospektive Weise“, so Strauß. Anders als die „mehr oder minder begabten Nachläufer der epischen Moderne“ mit ihren „gesinnungstüchtigen Romanen“ und ihrer „gottverlassenen Sprache“, habe Jünger „täglich Geheimnisse entdeckt und genannt, doch keines verraten“. Darüber hinaus erinnerte Strauß‘ mutiges Bekenntnis zu einem einzelgängerischen Konservatismus an Ernst Jüngers bedeutende Schrift „Der Waldgang“ (1951), die bereits bei ihrem Erscheinen als Programmschrift eines revolutionären Konservatismus und als Brevier für den geistig-politischen Partisanen verstanden wurde. Strauß‘ „Bocksgesang“ kann als Zeitgeist-Indikator interpretiert werden. Nach wie vor gehen von Strauß‘ Überlegungen wichtige Impulse aus für diejenigen, die sich vom herrschenden Zeitgeist abwenden. In seinem „Bocksgesang“ hat Strauß seine diagnostische Qualität mit ästhetischer Modernität vereint. Der Essay war, so mußte auch der Habermas-Schüler und Zeit-Redakteur Thomas Assheuer einräumen, „ein Einschnitt, ein unerhörtes Dokument – das erste aus dem Neuen Deutschland, undenkbar in der ‚alten‘ Bundesrepublik“. Hat sich die Tabuschwelle gegenüber nonkonformen Positionen seitdem gesenkt? Die Texte von Strauß, Walser (Friedenspreisrede) und später auch Sloterdijk („Regeln für den Menschenpark“), deren Gedanken ebenfalls Verstöße gegen die Verbotstafeln der Meinungsmacher enthielten, sollten die linksliberale, aufgeklärte, moralisch begründete Haltung der „Systemkonformen“ zunehmend in Frage stellen. Sloterdijk meinte 1999: „Die Ära der hypermoralischen Söhne von nationalsozialistischen Vätern läuft zeitbedingt aus. Eine etwas freiere Generation rückt nach. Ihr bedeutet die überkommene Kultur des Verdachts und der Bezichtigung nicht mehr sehr viel. Die traumabedingte Retrospektivität der Nachkriegskinder kann ihre Sache nicht mehr sein.“ Heute kann sich die moralische Wächteramt-Perspektive der herrschenden „Tugenddiktatur“ nicht mehr automatisch auf Zustimmung verlassen. Allein das sollte ein Grund sein, nach zehn Jahren dankbar an Strauß‘ mutige Schrift zu erinnern.

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