„In America“ beginnt und endet mit dem gleichen Bild: die im Lichterglanz strahlende Silhouette Manhattans, Symbol einer ungeheuren Verheißung für alle, die hier Arbeit, Schutz und Glück suchen. Johnny (Paddy Considine) und Sarah (Samantha Morton) sind mit ihren beiden Töchtern, der zehnjährigen Christy (Sarah Bolger) und der siebenjährigen Ariel (Emma Bolger), aus Irland in dieses Amerika der 1980er Jahre gekommen. Fasziniert vom Trubel und der Geschäftigkeit der gleißenden Metropole New York landen sie in einem von Junkies, Schwarzen, Kubanern, Puertoricanern und einigen Iren bevölkerten Viertel Manhattans. In einem schäbigen Mietshaus beziehen sie eine heruntergekommene Wohnung, und schon der erste glutheiße New Yorker Sommer wird ohne Klimaanlage zum Problem. Und während Johnny, der mit seinem Job als Taxifahrer unzufrieden ist, vom Theater träumt und unverdrossen Rollen lernt, ohne jemals eine echte Chance zu bekommen, verdingt Sarah sich als Putzhilfe in einem Café, um die Familie, die zudem bereits wieder Nachwuchs erwartet, über die Runden zu bringen. Christy und Ariel freunden sich unterdessen an Halloween mit ihrem Nachbarn Mateo (Djimon Hounsou), einem exzentrischen schwarzen Maler, an, der durch die uneigennützige Freundschaft der beiden Mädchen vom menschenfeindlichen Außenseiter unversehens zu einem hilfsbereiten und freundlichen Hausgenossen wird. Die Familie wird jedoch durch Sarahs kompliziert verlaufende Schwangerschaft in eine tiefe Krise gestürzt, und die Erinnerungen an den kleinen Frankie, Christys und Ariels bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Bruder, werden wieder wach. Dann wird gleichzeitig mit Sarah auch der todkranke Mateo ins Krankenhaus eingeliefert. Der ewige Kreislauf des Lebens erneuert sich. Mateo stirbt, während Sarah ihr Baby zur Welt bringt. Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen als irischer Einwanderer erzählt Regisseur Jim Sheridan („Im Namen des Vaters“, „Mein linker Fuß“) die semi-biographische Geschichte einer armen irischen Familie, die mit dem Mut der Verzweiflung „in Amerika“ ihr Glück sucht. Aus dem Blickwinkel Christys, die mit ihrer geliebten Video-Kamera die Handlung kommentiert, entwickelt sich dabei ein optischer Reichtum, der von einer melancholischen Grundstimmung getragen wird. Niemals böse oder höhnisch berichtet der Film von den Widrigkeiten des Lebens in all ihrer Härte und schafft es trotzdem, ohne jeden Zynismus eine liebenswerte Geschichte über liebenswerte Menschen zu zeichnen, nebenbei einen Ausflug in den Zoologischen Garten der menschlichen Spezies zu machen und mit einem sympathischen Ende zu überzeugen. Ohne je in die Sentimentalität abzurutschen, entsteht so eine empfindsame Spannung, die sich auf den Zuschauer überträgt. Die romantische, fast schon märchenhafte Erzählweise bringt Sequenzen von traumwandlerischer Sicherheit zustande, etwa eine zwischen Burleske, Zärtlichkeit und Leidenschaft angesiedelte Liebesszene zwischen Johnny und Sarah, aber dazwischen sind Sheridans Helden frei von jedem Pathos und verlieren sich in komischen oder traurigen, merkwürdigen oder alltäglich-realistischen Episoden, die nur eines verbindet: Kampf gegen die immer wieder bedrohlich anwachsende eigene Mutlosigkeit, Widerstand gegen die Dinge, wie sie sind, selbst um den Preis, von der Umwelt für einen wirklichkeitsfremden Kauz gehalten zu werden. Vor allem eines aber wird für immer unvergessen bleiben: die Hauptdarstellerin Samantha Morton („Minority Report“), deren kindlich-zartes, durchsichtiges Gesicht mit gleicher Reglosigkeit kämpferische Ehefrau und liebende Mutter ausdrücken kann und die mit jedem ihrer scheinbar klaren, tiefelosen Blicke immer geheimnisvoller und schöner wird.
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