Wenn von deutschen Kunsthistorikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heute wissenschaftshistorisch die Rede ist, dann zumeist von Erwin Panofsky, Paul Frankl, Nikolaus Pevsner, Richard Krautheimer, Fritz Saxl oder Werner Weisbach. Derer, die im Lande blieben, wird hingegen meistens nur gedacht, um ihre „ideologischen Handlangerdienste“ für das NS-Regime zu thematisieren. Männer wie Wilhelm Pinder, Hubert Schrade oder Hans Sedlmayr, erst recht natürlich Alfred Rosenbergs kunstgeschichtlicher Favorit Alfred Stange, erscheinen dann in keinem günstigen Licht. Irgendwo zwischen den Emigranten und solchen Finsterlingen stehen Gelehrte wie Wilhelm Worringer (1881-1965), die, da nicht so leicht politisch zu kategorisieren, das Schicksal der Vergessenheit erleiden. Von diesem Schicksal hat ihn auch Magdalena Busharts Dissertation aus dem Jahre 1991 nicht erlösen können. So ist man einigermaßen überrascht, jetzt einem Sammelband zu begegnen, für den fünfzehn Beiträger sich zu Leben und Werk Worringers geäußert haben und der zudem in einer Anmerkung verrät, daß an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig die nachgelassenen Vorlesungsmanuskripte zur Edition vorbereitet werden. Worringer, ein Rheinländer, der lange an den Universitäten in Bern und Bonn gelehrt hat, bevor er 1928 einem Ruf in das für ihn unwirtliche Königsberg folgte, wo er bis 1944 wirkte, war „ein Mann des eines Buches“: „Abstraktion und Einfühlung“ (1908), ein bis heute in zwanzig Sprachen übersetztes Werk, das viel zur weltanschaulichen Legitimierung der zeitgenössischen Moderne beigetragen hat. Diesem Klassiker widmet Siegfried K. Lang hier eine ausführliche Interpretation, die zusammen mit Böhringers Reflexionen über Worringers Geschichtsphilosophie und der aus persönlicher Kenntnis gespeisten „soziobiographischen Annäherung“ von Helga Grebing zu den grundlegenden Beiträgen dieses Bandes zählt. Grebings Skizze ist leider zu knapp ausgefallen, um die Frage zu beantworten, warum Worringer sich ab 1933 ohne persönliche Nachteile fast ganz aus dem kunstwissenschaftlichen „Betrieb“ zurückziehen und ideologische Zugeständnisse vermeiden konnte.