Die Veröffentlichungen über die Zeit der NS-Diktatur übertreffen zwar mittlerweile an Zahl alle anderen Publikationen über vergleichbare Zeitabschnitte, scheinen aber gleichwohl immer noch nicht ganz komplett. Zumindest fehlte noch in der seriösen Literatur eine solche Arbeit, wie sie dieser Tage die Eichstätter Wissenschaftlerin Margot Schmidt vorgelegt hat. Ihr Titel „Durchgestanden – Menschliches und Unmenschliches“ deutet knapp und zugleich vielsagend den leidvoll-schweren Inhalt an. Die Autorin beschreibt nicht nur ihr schweres Los als „Halbjüdin“ unter der Hitler-Diktatur, sondern erinnert sich auch an rare Beispiele edlen Menschentums, besonders während der Schul- und Internatszeit im Berliner Sankt Katharinenstift der Dominikanerinnen. Die Ordensschwestern Gisberta und Meinrada seien stellvertretend für zahlreiche andere Zeitgenossen der Tochter des jüdischen Kaufmannes Hermann Mendelsohn genannt. Die differenzierende Beschreibung der damaligen Zustände machen das Buch zum glaubwürdigen Zeitzeugnis. Das gilt für die Schilderung der erlebten Reaktionen auf den Erlaß der sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ ebenso wie die vermittelten Eindrücke von den Olympischen Spielen in Berlin. Auch die „Saarabstimmung“ beschreibt Schmidt eingehend. „Eine unserer Erzieherinnen im Katharinenstift, Schwester Gisberta, die wir auch besonders liebten, war Saarländerin. Da sie ihrer staatsbürgerlichen Wahlpflicht genügen mußte, erhielt sie vom Orden Sondererlaubnis, zur Wahl nach Merzig in ihr Elternhaus zu reisen. Briefwahl gab es damals noch nicht. Neben der Schule hat sie uns auf diese Wahl eingestimmt mit ihrer Voraussage, daß es sicher ein Sieg für Deutschland werden würde, und sang mit uns eifrig: ‚Deutsch ist die Saar, deutsch immerdar‘. Nach der Wahl kam sie sofort nach Berlin zurück. Als dann das Endergebnis bekannt wurde (90,5 Prozent für Deutschland), brach großer Jubel aus und wir sangen wieder und noch begeisterter.“ Die patriotische Stimmung wurde nicht allein von einer saarländischen Nonne unter begeisterungsfähigen jungen Mädchen entfacht, sondern sprach auch aus der Kanzelverkündung des damaligen Eichstätter Bischofs, Konrad Graf von Preysing, zum Tag der Saarabstimmung: „Der für die Zukunft unseres Vaterlandes so folgenschweren Entscheidung, die heute an der Saar fallen wird, kann kein wahrhaft Deutscher gleichgültig gegenüberstehen. Als deutsche Katholiken sind wir verpflichtet, für die Größe, die Wohltat und den Frieden unseres Vaterlandes uns einzusetzen. Unsere wirksamste Hilfe ist das Gebet. Deshalb verordnen wir, daß am heutigen Sonntag in allen Kirchen der Diözese nach dem allgemeinen Gebet drei Vaterunser und Ave Marie mit den Gläubigen gebetet werden, um einen für unser deutsches Volk segenreichen Ausgang der Saarabstimmung zu erflehen.“ Graf Preysing, ein ausgewiesener Gegner des Nationalsozialismus, dokumentiert, wie selbstverständlich und normal ein solches Verbundenheitsgefühl mit seinem Volk und Vaterland damals war. Margot Schmidt, von Einstellung und Herkunft gleichfalls keine Sympathisantin des Nationalsozialismus, bestätigte aus ihrem Lebensbereich das von dem Bischof beschworene Nationalgefühl als natürliches und weit verbreitetes Volksempfinden der damaligen Deutschen. Mutig erlaubt sich die Verfasserin auch kritische Vergleiche mit unserer Zeit, wenn sie von der „glaubenszersetzenden und oft perfiden Verhöhnung des christlichen Glaubens, insbesondere gegenüber der katholischen Kirche, welche in den heutigen Medien … praktiziert wird“, schreibt und kurz davor aus dem Bericht Hermann-Josef Horchens über den sonntäglichen Gottesdienst in der Marinekriegsschule Flensburg-Mürwick zitiert. Schmidt stellt sich mit ihrer Vergegenwärtigung der Geschichte dieser pharisäerhaften „Vergangenheitsbewältigung“ tapfer entgegen und eröffnet auf diese Weise die Möglichkeit, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Und nicht zuletzt macht sie sich durch ihre wirklichkeitsgetreue Darstellung auch um die gerechte Beurteilung der katholischen Kirche und ihrer Rolle im „Dritten Reich“ verdient. Die Autorin liefert Nachrichten aus erster Hand über eine Zeit, die viele Nachgeborene zumeist nur durch postume Sekundärliteratur kennen und diese nicht selten mit anachronistischer Kommentierung geliefert bekommen. Im übrigen empfiehlt sich Schmidts Monographie auch durch die Auswertung jüngster Forschungsergebnisse und einen zwanzigseitigen dokumentarischen Anhang. Darin weist sie auf eine zeitgeschichtliche Fundgrube hin, die bislang völlig außer acht geblieben ist: die Franklin-D.-Roosevelt-Bibliothek in Hyde Park/New York, wo sich die aufschlußreichen Berichte des „Personal Representative of the President of the United States of America to His Holiness Pope Pius XII. at Vatican City“, Myron C. Taylor, befinden. Diese sogenannten „Myron C. Taylor Papers“ sind seit Jahren frei zugänglich und enthalten auch zur aktuell diskutierten Problematik „Pius XII., Hitler und die Juden“ erhellende Hintergrundinformationen. Ein wahrlich dankenswertes Werk. Margot Schmidt: Durchgestanden – Menschliches und Unmenschliches. Resch Verlag, Gräfelding 2003, 211 Seiten, Leinen, 12,90 Euro