Im Heft 10 der Schriftenreihe der Aktion eben e.V. setzt sich der Pädagoge Rudolf Willeke mit den „Hintergründen der 68er-Kulturrevolution“, der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie, auseinander. Er erkennt richtig, daß die „Kritische Theorie längst kein allgemein anerkanntes Weltinterpretationssystem mehr ist“, dennoch sei ihr „Einfluß auf die Wissenschaften, auf Gesellschaft und Politik nachhaltig“. Letztlich sei sie „richtunggebend für die sozialdemokratisch-ökologische Politik und letztentscheidend für die „political correctness“ in den Kommunikationsmedien der Gesellschaft und der Kirchen.“ Nach einer Einführung zu den Begriffen Frankfurter Schule und Kritische Theorie widmet sich der Autor „einigen zentralen Thesen“ der Kritischen Theorie, „da es unmöglich ist und auch nicht der Anschein erweckt werden soll, das Ideen- und Lehrgebäude der ‚Frankfurter‘, das aus mehr als 40 Büchern, 50 Aufsätzen und Tausenden von Brief- und Manuskriptseiten besteht, adäquat darstellen zu wollen.“ Das ist verständlich, aber schade, denn vielleicht hätte er sonst bemerkt, daß radikaler als in Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ die Aufklärung kaum je kritisiert und die plump-dreiste Selbstrechtfertigung der Moderne vehementer nie angegriffen wurde. Niemand anders als Adorno hat beispielsweise in der „Negativen Dialektik“ einen ganz entscheidenden Schritt über die Aufklärung und den traditionellen Marxismus mit seinem dumpfen Materialismus hinaus getan. Wenn Willeke die großen Vereinfacher Marcuse oder Habermas attackiert, ist das völlig berechtigt. Aber warum verschweigt er die schweren Differenzen zwischen Adorno und Horkheimer auf der einen und Marcuse auf der anderen Seite? Bereits im Mai 1966 warnte Horkheimer vor der „Hölle einer chinesischen Weltherrschaft“, und Adorno kritisierte Marcuses „rabiate Haltung“, die auch den Gedanken nicht scheue, „alles Dissentierende zu verbieten“. Marcuse spreche gegen das Bestehende, „indem er sich ihm unterwirft“, schrieb Horkheimer im August 1967, er sei der „Prototyp der radikalen Intellektuellen, die nicht etwa nur die Mißstände im eigenen Land angreifen, sondern gleichzeitig mit dem Osten sympathisieren“. Damit propagierten sie die „schlimmste Art von Barbarei“, denn die „Zuchthaussysteme des Ostens sind viel schlimmer als die teilweise grobe Verfälschung der demokratischen Ordnung im Westen“. Und noch unmißverständlicher: „Radikal sein heißt heute konservativ sein.“ Die Frage, wo Kritik an der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie anzusetzen hat und wie die Auswirkungen dieser Gedankenwelt zu bewerten sind, wird letztlich nicht beantwortet. Daß die heute herrschenden Charaktermasken sich ihrer schamlos bedienen, ist ihr kaum vorzuwerfen. Das bürgerlich-identitätslogische Aufklärungsdenken, das sich hier von seiner dümmsten und häßlichsten Seite zeigt, muß -folgt man der Kritischen Theorie – an seinem eigenen totalitären Anspruch scheitern. Anschrift: Aktion Leben e.V., Postfach 61, 69518 Abtsteinach/Odw. Internet: www.aktion-leben.de
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