Eine Schieflage in der Behandlung zwischen Links- und Rechtsextremismus wird oft von Vertretern der politischen Rechten, aber auch von sogenannten Extremismusforschern wie dem Politologen Eckhard Jesse, beklagt. Bei ersteren, worunter viele Konservative zu zählen sind, liegt die Klage schon im Eigeninteresse. In Zeiten, in denen der pauschale „Kampf gegen Rechts“ propagiert wird, ist klar, daß es vielen politischen Akteuren nur vordergründig um die Bekämpfung von „Extremismus“ geht, in Wirklichkeit aber um die Kriminalisierung ganzer politischer Theoriegebäude.
So ist die Klage berechtigt, zum Beispiel über die einseitige Vergabe von staatlichen Fördergeldern für die Bekämpfung nur von Rechtsextremismus, über die nicht geahndete Diskriminierung von rechtsgerichteten Vereinen (Raumentzug, Störungen von Veranstaltungen) oder Personen (Benachteiligung im Beruf und sozialen Umfeld), über ungleiche Gewichtungen in Medien oder dem linkslastigen Online-Nachschlagewerk Wikipedia, bis hin zu einer ungleichen Strafgesetzgebung. Sehen sich rechtsgerichtete Gruppen, und zwar keinesfalls nur rechtsextreme, oft mit einer Gegnerschaft konfrontiert, die bis weit ins Unions-Lager reicht, so können selbst militante Linke auf freundliche Bündnisbereitschaft mindestens bis in den Bereich der SPD und der Grünen bauen.
Mögen konservative diese Diskriminierung noch fühlen und aufrichtig dagegen aufbegehren, so ist die Klage von liberalen „Extremismusforschern“ wie Jesse unglaubwürdig. Schließlich partizipieren die „anti-extremistischen“ Politologen seit Jahren am Establishment und wissen, wie das Spiel läuft. Die Schieflage ist somit leicht erklärbar. Zum Beispiel durch die ähnliche globalistische Zielsetzung von Liberalismus und Marxismus. Beide stehen für eine Abkehr von traditionellen kulturellen Bindungen und für ein Projekt Moderne, an dessen Ende eine Neue Weltordnung für die angeblich befreite Menschheit steht. Beide sind ideologische Ausflüsse der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, was einen historischen und außenpolitischen Aspekt beinhaltet.
Deckt sich nicht mit den eigenen Erfahrungen
Nun ist mir dieser Tage ein Fundstück in die Hände gefallen, das Büchlein „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?“ von Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen. Bergsdorf arbeitete unter anderem als Grundsatzreferent in der Landtagsfraktion der nordrhein-westfälischen CDU und im Büro des Thüringer Innenministeriums. Van Hüllen trat mehrfach als Autor in dem von Uwe Backes und Eckhard Jesse herausgegebenen Jahrbuch „Extremismus & Demokratie“ in Erscheinung, zu dessen Autorenschaft auch viele Verfassungsschutzmitarbeiter gehören. Bergsdorf und van Hüllen haben in ihrem Buch nun ganz freimütig ausgesprochen, weshalb auch für Liberale die oft beklagte Schieflage berechtigt ist.
Ich mache es kurz und verzichte auf den Zusatz „Extremist“, weil dieser in Zeiten seiner Inflationierung und seines Mißbrauchs als Denunzierungsmittel bedeutungslos geworden ist: Linke sind von edleren Zielen beseelt, sie sind feingeistigere Menschen und sind stets an Gesprächen interessiert. Im Gegensatz zu Rechten, deren Einsatz für das eigene Kollektiv letztlich einer nationalsozialistischen Wurzel entspringt…
Komisch nur, daß man selbst es immer gerade anders herum beobachten konnte, wenn einmal Linke und Rechte aufeinandertrafen. Einer Gruppe von „Antifaschisten“, latent aggressiv und an ein religiöses Ritual ähnelnd Parolen schreiend, standen stets irgendwelche konservativen Rentner gegenüber, die mit ihnen zu diskutieren versuchten. Dabei appellierten sie an den Verstand der Schreienden und durften dann nach viel Energieverschwendung stets einsehen: „Ihr wollt ja gar nicht diskutieren.“ Jetzt muß ich zugeben, daß ich mich nicht im NPD-Milieu oder irgendwelchen Neonazi-Kreisen bewege, mir insofern der Vergleich zu womöglich echten Extremisten fehlt. Aber für den Bereich der gemäßigten politischen Rechten, also der Konservativen, kann ich sagen, daß es zwar auch dort Denktabus gibt, aber ich in der Regel dort offenen, freundlichen und diskussionsfreudigen Menschen begegnet bin, an deren gutem Willen für das Wohlergehen dieses Landes und der Welt ich keinen Zweifel hatte. Das war bei Linken, mit denen man Kontakt hatte, in der Regel ganz und gar nicht so. Damit sind die jüngeren, schulisch konditionierten Jahrgänge gemeint, nicht die bisweilen noch sehr freigeistigen Alt-68er, mit denen ich Umgang hatte und habe. Der Toleranzbereich war links weitaus eingeschränkter, Abweichung der angelernten Norm wurde umgehend mit Verunsicherung, offen aggressiven oder verdruckst-versteckten Abwehrreaktionen quittiert.
„Der Linksextremist ist … diskursfähig“
Nun, das waren aber nur meine subjektiven Eindrücke. Ganz andere Erfahrungen müssen die liberalen „Extremismusforscher“ Bergsdorf und van Hüllen gemacht haben.
Zitat Seite 27ff.:
„Gerade auch die universalen Werte der Aufklärung trennen Links- von Rechtsextremisten: Rechtsextremisten halten nichts von Freiheit und Gleichheit. Für sie bedeutet Freiheit nur, sich in eine ‘natürliche’, also angeblich unentrinnbare und durch biologische Fakten und historisch-kulturelle Traditionen ein für allemal vorgegebene Ordnung zu fügen. Die Vorstellung, daß Menschen unabhängig von ihrer Nationalität und Hautfarbe gleiche Rechte haben sollen, lehnen sie ab. Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit. Sie fordert für die Mitglieder des eigenen Kollektivs, die nationalsozialistische ‘Volksgemeinschaft’, Vorrechte und wertet Außenstehende, ‘Andere’, systematisch ab.
Die Ebene der Ziele und Werte wirkt sich durchaus auf das Sozialverhalten aus. Linksextremisten glauben, die Welt retten zu müssen und das Gute zu verkörpern. Ihre Absichten sind – mindestens aus eigener Sicht – moralisch ehrbar und edel. Ihnen ist auch bewußt, daß sie Werte und Ziele vertreten, die ihren Ursprung in der Französischen Revolution und in der Aufklärung haben.
Diese Rückbindung sozialrevolutionärer Ideen an humanistische Werte führt dazu, daß man unter Linksextremisten oft sehr empfindsame, persönlich sympathische Menschen findet, denen Not und Mißstände nahegehen. Ihre Fähigkeit zur sozialen Empathie führt oft zu sozialem Engagement, nicht nur in ihren Politgruppen, sondern vielleicht zusätzlich in Bürgerinitiativen, in Gewerkschaften, mitunter auch in kirchlichen und karitativen Zusammenhängen. Sie kämpfen immer für irgendetwas: für das Proletariat, für sozial Schwache, für diskriminierte Ausländer, für sexuelle Minderheiten oder einfach nur für das, was sie unter Gerechtigkeit verstehen. Diese durchaus altruistischen Ziele können sich in unterschiedlichen Feldern manifestieren. Es ist dieser sozialrevolutionäre Impetus, sich mit dem alltäglichen Unrecht und der mangelnden Perfektion der existierenden Gesellschaft nicht abfinden zu wollen, der Linksextremismus für junge Menschen attraktiv machen kann. Er produziert zunächst zweifellos authentische Sozialrevolutionäre. Die Attraktivität der Botschaft hat durch die Verbrechensgeschichte des realen Sozialismus zwar gelitten, ist aber nicht grundsätzlich verschwunden.
Die unverrückbare Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Ziele und der Wunsch, sie anderen Menschen zu vermitteln – Sozialrevolutionäre verspüren eine Missionsaufgabe – verursacht bei Linksextremisten einen viel ausgeprägteren Diskursbedarf und auch eine viel stärker ausgeprägte Diskursbereitschaft als unter Rechtsextremisten. Der Rechtsextremist hält Diskussionen im Prinzip für überflüssig, weil aus seiner Sicht biologische Vorgaben und ‘natürliche’ Rangordnungen alle anstehenden Fragen klären.
Das hat Folgen für die Behandlung beider Extremismusformen durch Demokraten: Man kann Rechtsextremisten zwar versuchen klar zu machen, warum Rassismus nicht akzeptiert wird. Aber mit ihnen etwa über die ‘Berechtigung’ von Rassismus zu diskutieren, verbietet sich für Demokraten schon aus grundsätzlichen Erwägungen.
Der Linksextremist ist hingegen zumindest auf seiner ursprünglichen Wertebasis Freiheit-Gleichheit-Solidarität mit Demokraten diskursfähig. Daß er den Diskurs oftmals nicht will, ändern daran nichts.“