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Relativierungen

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Diese Woche wurde wieder einmal ausgiebig relativiert und verharmlost. Tatort: Berlin, genauer gesagt, das Bundestagsplenum und die neu eröffnete Baustelle für das Zentrum gegen Vertreibungen. Sechzig Jahre Bundesvertriebenengesetz und der Baubeginn des Zentrums gaben Anlaß für entsprechende Ansprachen.

Nun ist, horrible dictu, im Prinzip jede Äußerung zu historischen Fakten notwendig auch ein Stück relativierend. Alles kann mit allem verglichen werden, nichts ist unvergleichlich, alles ist singulär. Auch wer die deutsche Alleinschuld an allem Unglück des 20. Jahrhunderts proklamiert, der relativiert. Er setzt nämlich die Schuld der anderen relativ dazu gesehen auf Null. Das gilt für alle Bereiche historischer Betrachtung. Besonders der Rostocker Kollege Egon Flaig hat darauf in den letzten Jahren mit teilweise drastischen Worten hingewiesen.

Qualitativ gesehen ist es eine Sache, dem Zwang zur Relativierung aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht ganz entkommen zu können, eine andere aber, die Relativierung als Hauptzweck zu betrachten. Letzteres nun läßt sich ganz offenkundig als Kernbotschaft der Festansprachen bundesdeutscher Politiker in den letzten Jahrzehnten beobachten. Man begibt sich dafür auf das stets dünne und glatte Eis historischer Tatsachenbehauptungen, um den eigenen Landsleuten den Verlust der Menschenrechte attestieren zu können.

Provinz Posen ein Musterbeispiel ethnischer Säuberungen durch Polen

Da war zum Beispiel jener Redner der SPD, der im Bundestag von einer Million vertriebener Polen im Spätherbst 1939 sprach. Er schien dies für die Initialzündung der europäischen Vertreibungsgeschichte zu halten, die weitere Nachfragen erübrigen würde. Von der Million Deutscher, die nach 1919 aus dem neuen Polen vertrieben wurden, betroffen auch die Familie des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, schwieg er oder weiß er nichts.

Für Stanis?aw Grabski (1871–1949), den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im polnischen Sejm, stellte damals die „Provinz Posen ein Beispiel dafür dar, wie der Prozentsatz an Fremden im Land von vierzehn oder sogar zwanzig Prozent auf eineinhalb Prozent gedrückt werden kann“. Man verlangte nach Wiederholung an anderen Orten, mit öffentlicher Unterstützung des Regierungschefs.

War es „Hitler-Deutschlands Krieg“, den der tschechische Präsident Benesch in London als Begründung für die geplante „Umsiedlung“ der Sudetendeutschen anführte? Nein, er erinnerte die britische Politik an die Aussiedlung der griechischen Bevölkerung aus Kleinasien, die in den 1920er Jahren mit britischer Billigung stattgefunden hatte. Das habe doch damals gut geklappt, warum es nicht wiederholen?

Relativ originell, relativ absurd

Man könnte noch eine Weile so weitermachen. Aber nur ein Fundstück sei noch angeführt: Beim geplanten Zentrum gegen Vertreibungen gehen die Relativierungsbemühungen bis in die Architektur. Der Neubau soll sich optisch hin zur „Topographie des Terrors“ öffnen, um auf die Ursachen der Vertreibung hinzuweisen. Gestapo-Verbrechen an Deutschen in Berlin sollen also Verbrechen der Alliierten an Deutschen im Osten legitimieren. Auf diesen originellen Gedanken muß man erst einmal kommen. Er scheint relativ absurd zu sein.

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