Hand aufs Herz: Würden Sie den Suhrkamp-Verlag ernsthaft vermissen? Zugegeben, wenn man nie dröge Soziologen-Theorie-Taschenbücher gesammelt und nach Regenbogenfarben sortiert hat, und wenn Tellkamps „Turm“ das einzige Erzeugnis aus dem Verlagsprogramm ist, das man sich in letzter Zeit zugelegt hat, ist das leicht dahingesagt. Daß Suhrkamp-Autoren in den Literaturpreis-Zuschanz-Kartellen des etablierten Kulturbetriebs nach wie vor überproportional vertreten sind, wie die Parteigänger der gerichtlich abgesetzten Verlagschefin Ulla Unseld-Berkéwicz im vor Gericht und in den Feuilletons ausgefochtenen Suhrkampf gerne auftrumpfen, beeindruckt allerdings auch nicht übermäßig.
Ursula Schmidt also, die sich aus Geschäftsgründen zeitig den Nachnamen ihrer jüdischen Großmutter Berkéwicz zulegte und zuerst als Schauspielerin, später als kurzlebig hochgejubelte Betroffenheitsautorin und schließlich als letzter Frühling eines alternden großen Verlegers Karriere machte, hat sich also nach Siegfried Unselds Tod vor einem Jahrzehnt den Verlag mit Machtinstinkt unterworfen, Unselds Sohn aus früherer Ehe rausgedrängt und sich in der Verleger-Rolle behaglich eingerichtet. Die Frau habe keine Ahnung vom Verlagsgeschäft und zerstöre die „Suhrkamp-Kultur“, hieß es seinerzeit, namhafte Achtundsechziger-Opas kehrten dem Verlag empört den Rücken, allen voran der „Kritiker“-Erzgauner Reich-Ranicki, der so über die „böse Frau“ schimpfte, daß es einem die Verleger-Darstellerin um ein Haar schon wieder sympathisch gemacht hätte.
Dann war da auf einmal der Bildhauer-Enkel Hans Barlach, der sich mit Ulla Unseld-Berkéwicz einen Machtkampf aufs Ganze liefert, der in ihrer vorläufigen und noch nicht rechtskräftigen Absetzung gipfelte. Der habe auch keine Ahnung vom Verlagsgeschäft, tönt es vertraut, dieser finstere Kapitalist wolle ja nur Geld verdienen, wieder drohen Autoren mit Ausmarsch.
Ein in die Jahre gekommenes Achtundsechziger-Biotop
Ja, und auch die „Suhrkamp-Kultur“ ist wieder in Gefahr, man könnte ihre Eitelkeiten nicht ausreichend pudern. Und dann macht dieser „Unhold“, der „Abgrundböse“ (Handke) auch noch publik, daß Madame Berkéwicz Hunderttausende aus dem Verlagsvermögen in ihre Berliner Protzvilla umgeleitet hat – die Frankfurter Bühne war ihr zu klein gewesen –, während der Verlag mit dem letzten halben Dutzend ihrer Bücher gerade mal ein paar Hundert Euro pro Jahr verdient habe. Macht aber nix, dafür gibt es ja den immer noch riesigen Autorenstamm als Geldkuh und, genau, die „Suhrkamp-Kultur“.
Die entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Mythos, Selbstbedienungsladen und Leichenfledderei. Siegfried Unseld war zweifellos eine große Verlegerpersönlichkeit, die die Alt-BRD maßgeblich geprägt hat – ob immer segensreich, sei dahingestellt. Die Epigonen streiten sich als saturierte Erben desto verbissener um die Verteilung des Kuchens. Suhrkamp selbst kommt einem dabei schon länger so überflüssig vor wie die Frankfurter Rundschau: Ein in die Jahre gekommenes Achtundsechziger-Biotop, das vielleicht nicht tot ist, aber allmählich merkwürdig riecht.
Schon wegen der saftigen täglichen Schlagzeilen würden wir Suhrkamp irgendwie wohl doch vermissen. Aber auch nur ein bißchen.