Der Bildungsbericht im Auftrag der Bundesregierung liegt vor. Im Wesentlichen wird eine augenfällige Diskrepanz beklagt: Zwar gäbe es einerseits immer mehr Abiturienten, andererseits aber einen schwer zu bewegenden „Sockel von Abgehängten“, wie sich KMK-Präsident Ties Rabe ausdrückt. Dabei handelt es sich um Sonder- beziehungsweise Förderschüler, zehn bis elf Prozent etwa in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, und insgesamt um die sogenannten „Bildungsverlierer“, bundesweit zwanzig Prozent – junge Menschen, die als schwache Leser oder funktionale Analphabeten Texte nicht ausreichend verstehen und selbst kaum solche erstellen können. Zwanzig Prozent! Früher eine Ziffer des Bildungsnotstands in Entwicklungsländern.
Von oben betrachtet laufen also so viele Absolventen mit Hochschulreife auf die Universitäten zu wie noch nie, jedes Jahr 500.000 Neustudierende, so daß 2015 zirka 300.000 Studienplätze fehlen werden; aber unten werden 300.000 Jugendliche in Warteschlangen geparkt, weil sie noch nicht „fit für den Job“ sind. Ein teures Übergangssystem, das die nötigsten Qualifizierungen nachreichen soll, hat ein Drittel der Jugendlichen ohne Abitur in einer Art pädagogisch-praktischer Rehabilitation aufzufangen.
Fehlende Elementarkenntnisse bei Auszubildenden
Was helfen soll, ist bekannt: Kleinkindbetreuung, insbesondere weil ein Viertel der Drei- bis Siebenjährigen als „sprachförderbedürftig“ eingeschätzt werden, und natürlich die „Ganztagsschule“, die über ihren Unterricht hinaus sozialpädagogische Angebote macht und die Schüler aus der offenbar als problematisch empfundenen Außenwelt heraushält.
Fazit: Am Gymnasium und mittlerweile in allen möglichen Gesamtschularten, etwa den Hamburger Stadtteilschulen, wird das Abitur immer zahlreicher ausgestellt. In Mecklenburg braucht man – ohne je überhaupt irgendeine Prüfung absolviert zu haben! – nur die elften Klasse erreichen, um mit einer zertifizierten „Fachhochschulreife“ vorm nicht bewältigten Abitur auszusteigen. Was bei den beschulbaren Jugendlichen also auf Dekret funktioniert, das macht im unteren Niveau Schwierigkeiten, weil immer weniger beherrscht wird und die Berufsausbilder fehlende Elementarkenntnisse bei Auszubildenden beklagen.
Transferempfänger auf lebenskulturell geringem Niveau
Braucht die Gesellschaft wirklich jeden, fragt man sich, oder reicht ihr ein sehr gut qualifiziertes Spezialistentum und ein passabel Steuern zahlender Mittelbau, früher jene mit Mittlerer Reife, um den „Rest“ in prekären Arbeitsverhältnissen oder als Transferempfänger auf lebenskulturell geringem Niveau mit durchzuziehen? Was ist der Grund, daß so viele in der Bildung versagen? Geantwortet wird darauf stereotyp: Man hätte noch nicht verstanden, alle dort abzuholen, wo sie stünden, man fördere noch zu wenig und zu spät. Überhaupt wäre das Schulsystem noch zu ungerecht und zu undurchlässig, gerade gegenüber „Bildungsfernen“. Ein unsinniger Einwand, denn gesetzlich garantiert haben alle die gleichen Chancen, nutzen diese aber unterschiedlich.
Kennzeichen einer Aufbruchsgesellschaft sind das nicht. Impetus braucht Ideen und Haltung. Beides kann viel Ungemach und ungünstige Umstände kompensieren. Eine Gesellschaft, der inspirierende Ideen aber abhanden gekommen sind, verliert nach und nach ihre Bindekräften jenen gegenüber, die aus eigenem Antrieb nicht mehr aktiv werden können oder wollen.