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Jugend voran?

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Jugend voran?

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Sicher, alle Nachfolgenden sind zunächst durch die Vorangehenden geprägt und nicht allein aus sich selbst orientiert. Aber kann es möglich sein, daß in Deutschland die zweite, vielleicht dritte weitgehend entpolitisierte Generation heranwächst?

Zunächst das: Sicher bin ich, daß ich mit einem harten Kern jener Gymnasiasten, die ich gerade als Honorarlehrer in Deutsch und Philosophie unterrichte, sofort in einen Kleinbus steigen und nach Böhmen in eine Winterhütte brummen könnte, wo wir flott das Kaminholz gespalten und einen Wochenplan für ein paar vitalisierende Touren in freier Natur zusammengeschustert hätten. Die jungen Leute sind verläßlich und zu klaren Absprachen in der Lage.

Vor allem sehnen sie sich nach Verantwortung und Bewährung. Sie wollen herangelassen werden an das echte, eigentliche Leben, das es doch irgendwo geben muß, und zwar jenseits des Prinzips Ganztagsschule, das jeden festhalten will wie eine überängstliche Mutter, und über all die faden inszenierten Projekte hinaus. Vielleicht lieben die Jungen deswegen die neue, von David Belle inspirierte Sportart Parkour, weil dabei die geschlossenen Räume endlich verlassen werden und man in Erprobung von Kraft und Geschick über die Hindernisse der urbanen Welt setzt.

Allzu viele wachsen mit einer Art ptolemäischem Weltbild auf

Aber mal abgesehen von meiner Klasse, die in mancherlei Hinsicht überm Schnitt liegen dürfte: Allzu viele wachsen mit einer Art ptolemäischem Weltbild auf, in dessen Mittelpunkt sich – etwa dort, wo früher das himmlische Jerusalem eingezeichnet wurde – die Fetische der Gegenwart befinden, insbesondere die Apparate des Netzes und eine Menge chipbasierter Wiedergabeelektronik. Vielleicht ist es das: Zuviel bloße Wiedergabe, andauernd nur Play-Taste. Die Systeme generieren immerfort virtuelle Welten, die die eigentliche so überlagert haben, daß sie erst wieder freigelegt werden muß.

Phänomenal, daß mit jedem internetfähigen Handy jederzeit und allerorten das gesamte Weltwissen zur Hand ist, aber so wenig daraus gestaltet wird. Eindrucksvoll ferner, daß die Ortsbestimmung überall erfolgen kann, aber kaum jemand weiß, wo er – immer in Relation zum anderen – nun eigentlich steht, und zwar ebensowenig geographisch wie von seiner Haltung, der inneren Position her. Erst, wenn ich irgendwo fest stehe, wenn mir der wesentlichste Teil jeder Karte bewußt ist, der Pfeil des „Sie-sind-hier!“, kann ich mich vergleichen und urteilen. Ort, das war im Germanischen die auf den Punkt zulaufende Spitze des Speers. Man konnte ihn in den Boden stechen und sagen: Hier stehe ich!

Letztlich: Einerseits war lange keine Generation so sehr an Zeichen, an Schrift gebunden wie die jüngste. Sie produzieren allesamt permanent Texte, denn sie mailen, chatten, simsen, twittern, kommentieren bei Facebook, ja die Qualifizierteren kippen all die zahllosen Independent-Verlage mit ihren Elaboraten zu. Dank Microsoft-Word geht das verdammt schnell. Und trotzdem wurde im Durchschnitt wohl nie so schlecht geschrieben. Zwanzig Prozent funktionale Analphabeten unter Fünfzehnjährigen in Deutschland – eine Zahl, die die Kultusbürokraten lieber gleich wieder vergaßen. Und kaum je mußte man in sogenannter junger Literatur so lange suchen, bis man einen Gedanken von Belang fand. Dennoch gibt es davon so viele Publikationen wie nie. Inflationiert das Geld, sinkt die käuflich zu erwerbende Qualitätsmenge; inflationieren die Zeichen, führt’s zum großen Geschwätz. Deutschland quatscht sich leer, so ein früherer Werbespot der Telekom. Unfreiwillig treffend.

Ängstlich kopiert die Jugend die Elternkarrieren

Mich wundert, weshalb eine Jugend, die rein medial alle Möglichkeiten und dazu sämtliche Freiheitsrechte hat, so wenig subversiv, so wenig widerständig ist, sondern die Entwürfe der Elternkarrieren willig – und vor allem ängstlich! – kopiert. Fragt man in vertraulichen Momenten nach, heißt es etwa, man will nun mal nicht auf Hartz IV landen. Sicher ehrenwert. Aber man könnte doch ebenso die immerhin funktionierenden demokratischen Strukturen nutzen und mal voll eingreifen in die verschnarchte Politik, um „der Mitte“ zu zeigen, was man vom Rand her losmachen kann.

Die großen Initiatoren kommen immer vom Rand, weil die Zentren sich in Selbstgefälligkeit erledigt haben. In Rom und an der damaligen Sorbonne mußten sie lange blättern, wo denn dieses Wittenberg liegt, aus dem Luther wetterte. Kants Königsberger Universität galt nicht als allererste Adresse der Philosophie; er selbst hatte über fünfzehn Jahre nicht publiziert, weil er nämlich nachgedacht hatte. Nachdenken gilt mindestens in der Publizistik kaum noch etwas, denn es soll permanent produziert werden.

Und selbst Einstein stellte die klassische Physik auf den Kopf, als er nur subalterner Beamter im Berner Patentamt war, aber während eines Spaziergangs beim Anblick zweier weit auseinander liegender Turmuhren wach genug, den Ansatz für die spezielle Relativitätstheorie zu finden. Die Mitte kommt auf nichts mehr, sie pflegt die eigene Sklerose. Allerdings: Nirgendwo sehe ich soviel junge Kraft versammelt wie um die Junge Freiheit, die Blaue Narzisse und die Sezession. Ein Zeichen? Bestimmt. Vom Rande, ja, aber das ist der richtige Platz.

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