„Sapperlot, die haben uns verkauft!“ war die einhellige Meinung der Bürger, als die Medien von der Verabschiedung des neuen Meldegesetzes berichteten. Und als der Sturm der Empörung losbrach, wollte es keiner unserer Abgeordneten gewesen sein. Niemand war schuld oder verantwortlich! Man muß sich fragen: Wie kam es zu diesem peinlichen und absurden Polit-Theater?
Bisher gelten ein Melderechtsrahmengesetz und die dazugehörigen Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Da die Zuständigkeit aufgrund der Föderalismusreform auf den Bund überging, sollte ein neues Meldegesetz in Kraft treten. Am Anfang gab es einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der – wie es üblich ist – monatelang und intensiv im Fachausschuß beraten wurde. Die Bundesregierung wollte ursprünglich, daß die Meldeämter Daten an Dritte nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Bürger weitergeben (sogenannte Einwilligungsklausel).
Die FAZ berichtet, daß der Abgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU) auf die Abgeordnete Gisela Piltz (FDP) zuging und sich beide einig wurden, daß eine Verschärfung des Datenschutzes (Einwilligungsklausel) von ihnen nicht gewollt sei. Dann sollen sich Uhl und Piltz mit den Berichterstattern im Fachausschuß, Helmut Brandt (CDU) und Manuel Höferlin (FDP) und Fachbeamten des Innenministeriums zusammengesetzt haben. Man plädierte für die Änderung zu einer Widerspruchslösung. Bei dieser müssen die Bürger Widerspruch einlegen, wenn ihre Adreßdaten nicht an Dritte weitergegeben werden sollen.
Die Opposition hat geschlafen
Am 14. Juni (14 Tage vor der Abstimmung) soll der Innenausschuß beschlossen haben, auf eine Debatte bei der Abstimmung im Bundestag zu verzichten. Einen Tag danach wurde der Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP an den Innenausschuß gesandt. Man kann daher davon ausgehen, daß die Opposition die Änderung entweder nicht zur Kenntnis nahm oder deren Bedeutung verkannte. Denn bei einer Ausschußsitzung, nur einen Tag vor der Abstimmung im Bundestag, spielte die geänderte Regelung (Widerspruch statt Einwilligung) keine große Rolle. Die Opposition hatte also geschlafen.
So kommt es wie vorhergesehen: Die Abstimmung über das Gesetz dauert nur 57 Sekunden ohne eine vorherige Debatte. Die Abstimmung über das Gesetz findet während des Europameisterschafts-Halbfinale Deutschland gegen Italien statt, somit sind auch nur 27 Abgeordnete im Parlament anwesend. Ein Aufschrei der Opposition erfolgt nicht. Eine Pressemitteilung von zwei Abgeordneten der SPD verpufft.
Erst der Datenschutzbeauftragte von Schleswig Holstein, Thilo Weichert, macht die Öffentlichkeit mit einer Pressemitteilung ausdrücklich auf die kurzfristige Änderung beim Meldegesetz aufmerksam. Er vermutet, daß die kurzfristige Änderung des Gesetzes aufgrund der Überzeugungsarbeit von Adreßhändlern und Inkassounternehmen erfolgte. Erst dann bemerken auch die führenden Oppositionspolitiker, was beschlossen wurde – und somit durfte sich diese erst eine Woche nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag künstlich empören.
Keiner will’s gewesen sein
Jetzt will es keiner gewesen sein. CSU-Chef Horst Seehofer will das Gesetz kippen, auch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hofft auf Änderungen, obwohl seine Beamten Formulierungshilfe bei der Änderung leisteten. Das Bundesinnenministerium sei bei allen Gesprächen dabei gewesen, so Hans-Peter Uhl (CSU). Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) sagte gegenüber Bild, daß es ein Fehler gewesen sei, daß „der entscheidende Paragraph quasi über Nacht im Schnellverfahren geändert wurde.“ Laut Uhl hätte Aigner jedoch auch informiert sein müssen. Dieter Wiefelspütz (SPD) räumt ein, daß es „nicht ganz optimal gelaufen“ sei. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), gab gegenüber Welt Online zu, daß es den Politikern bisher nicht gelungen sei, die Rechtsänderung überzeugend zu erklären.
Die Bundesregierung distanziert sich von dem Gesetz, daß sie selbst als Gesetzesentwurf in den Bundestag einbrachte und an dessen Änderungen sie sogar mitwirkte. Und sie distanziert sich unnötigerweise, denn die aktuelle Fassung des Meldegesetzes stellt sogar einen Fortschritt dar gegenüber dem bisherigen Melderechtsrahmengesetz; der Datenschutz würde so verschärft werden. Wenn die Opposition nun das Meldegesetz blockiert und kein neues auf den Weg gebracht wird, dann gelten die alten Regelungen, die den Adressenabruf nahezu nicht begrenzen.
Nur eine Frage wurde bisher noch nicht beantwortet. Was war der eigentliche Grund, die Einwilligungslösung in eine Widerspruchslösung zu ändern? Warum diese Kehrtwende kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes?