Jüngst hat Karlheinz Weißmann (JF 45/11) unsere verhältnismäßig neuen Halloween-„Bräuche“ als Geschmacklosigkeit und Beutelschneiderei amerikanischer Herkunft getadelt und auf den Kürbiskopf-Schabernack hingewiesen, den Ku-Klux-Klan-Mitglieder mit abergläubischen Schwarzen getrieben haben.
Sicher geht seine kleine Philippika nicht ganz daneben, wenngleich der Vorwurf verkitschter Kommerzialisierung auch gegen den herannahenden „X-mas“-Schund mit seinen Coca-Cola-Figuren, Rentieren und dem ganzen Flitterkram erhoben werden kann; immerhin ist hinter diesem aber noch immer das christliche Weihnachtsfest erahnbar, während der – namentlich von dem Religionsethnologen James Frazer angenommene – keltische Ursprung von Halloween heute, trotz dessen Import in die USA durch irische Einwanderer, als ungesicherte Spekulation gilt.
Die auch auf dem europäischen Kontinent reichlich überlieferten „Heischebräuche“ und Maskenumzüge tragen zur Klärung der Ursprungsfrage wenig Sicheres bei. Sie mögen vorchristlich-heidnische Wurzeln haben, aber nichts Genaues weiß man nicht – jedenfalls, wenn man nach Kontinuitätslinien sucht und nur kurze Stückchen und Fädchen findet. Im (neo-)germanischen Bereich ist die Lage noch ungünstiger als im (neo-)keltischen, weil hier zur fragmentarischen Überlieferungssituation noch die Belastung durch den Nationalsozialismus beziehungsweise die heutige politische Korrektheit hinzukommt.
Ursprungshuberei basiert auf einem Mißverständnis
Tatsächlich wurde die Erforschung des germanischen Altertums im Dritten Reich aber weitaus randständiger betrieben als allgemein angenommen. Gleichwohl bestehen manche fachwissenschaftlichen Bücher zur germanischen Mythologie heute zu weiten Teilen aus Distanzierungen und der langweiligen Wiederholung, man könne nichts mit Bestimmtheit feststellen und jede konkrete Behauptung sei nur völkische Pseudowissenschaft.
Immerhin gibt es zusätzlich zu den akademischen Zugangsweisen – ich betone: zusätzlich, nicht alternativ zu ihnen – noch andere Möglichkeiten, sich dem alteuropäischen Erbe anzunähern. Die „Ursprungshuberei“ beziehungsweise das Konstrukt einer ungebrochenen Traditionslinie ist dabei gar nicht notwendig, sondern beruht auf einem Mißverständnis. Für ein natur- und erfahrungsreligiöses Konzept, das sich an jahreszeitlichen Rhythmen, kosmischen Symbolen, bedeutungsträchtigen „heiligen“ Landschaften und den archetypischen Bildern der Geschlechter und Lebensalter orientiert, ist der Bezug zu Stifterfiguren, historischen Ereignissen, „richtig“ überlieferten und gedeuteten Texten und Traditionen nicht nur unwesentlich, sondern stellt eine falsche Analogiebildung dar.
Es ist daher überflüssig, zum Beispiel neue, oft unfreiwillig komische, Datierungen – „nach Stonehenge“, der Varusschlacht oder der Fällung der sächsischen Irminsul – einführen zu wollen, die nur im Rahmen einer Stifterreligion Sinn hätten. Und man könnte die in der heidnischen Szene geführten endlosen Diskussionen um „authentische“ Kulte, angemessene Kleidung oder „unhistorische“ Kartoffeln als Opfergaben wenn nicht klären, so doch wenigstens anspruchsvoller führen, wenn man sich über den Geist der Rituale verständigen würde.
Keine Angst vor Neustiftungen von Traditionen
Auch vor einer Neustiftung von Traditionen braucht man keine Angst zu haben, wenn man von der falschen Analogie zu anderen kulturellen Modellen absieht. Authentizität besteht eben nicht im Rückbezug auf historische Ursprünge, sondern in der – zu allen Zeiten mit den je unterschiedlichen Mitteln – erreichbaren Stimmigkeit. Die Religionsphilosophie kann dabei mehr weiterhelfen als Ethnologie, Philologie und Archäologie.
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Wenn man unter einem Opfer nur die (Rück-)Gabe etwas Wertvollen an eine Gottheit, etwa aus „Dank“, versteht, wird man sich fragen müssen, ob „historisch korrekte“ Feldfrüchte aus dem Supermarkt auch für den Großstadtheiden angemessen sind, ob dieser – der vielleicht Programmierer und kein Landwirt ist – nicht eher ein Produkt seiner tatsächlichen Arbeit opfern müßte. Und was es überhaupt für einen Sinn hat, etwa einer Fruchtbarkeitsgöttin Früchte zu spenden, die sie doch sinnbildlich hervorbringt.
Versteht man unter dem Opfer allerdings den Nachvollzug einer Grundgeste der Natur – des schöpferischen Waltens und Aufgehens –, dann wird deutlich, warum Obst oder Blumen und selbst die fremdländische Kartoffel noch immer symbolisch gültig sind, während CDs oder Mobiltelefone nicht nur aus Umweltschutzgründen nicht im Opfermoor versenkt werden müssen. Auch der Kürbis mag also in heutigen Ritualen seine Verwendung finden. Wenn man deren Klamauk und Kommerzialisierung – zu Recht – kritisiert, sollte man auch fragen, welche Sehnsüchte sich in ihnen artikulieren. Vielleicht äußern sich diese deshalb so gebrochen und verkitscht, weil sie ansonsten gar nicht angesprochen werden?