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Der ideelle Schatten der Krise

Der ideelle Schatten der Krise

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Der ideelle Schatten der Krise

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Zu den Fragwürdigkeiten gegenwärtiger Politik gehört offenbar die Annahme, die Krise bliebe immer nur Zahl, sie wäre also allein ein Sachverhalt der Börsen, der Wirtschaft und der Haushaltsrechnerei. Mitnichten. Hinter allem, was investiert, produziert, verdient, verzockt wird, stehen Wahrnehmungen, aus denen heraus sich ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickelt, das denkt, fühlt und handelt.

Vor den neuerlichen Abstürzen an der Börse wurde von der Bundesregierung etwa propagiert, die Wirtschaft wäre im Aufschwung, man freue sich über die Konjunktur, über schwarze Zahlen, die Krise sei schnell überwunden. Die Nachricht war belanglos, weil der angebliche Aufschwung – abgesehen von üblichen Renommierprojekten in den Magistralen – nicht bei den Kommunen und in der Lebenskultur ankam, sondern offenbar nur die Revenue einer kleinen Zahl Eigentümer steigerte.

So wie den Schülern der DDR die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei unterrichtlich eingeredet wurde, so wuchsen die letzten beiden Schülergenerationen der Bundesrepublik damit auf, daß es nur und ausschließlich einen einzigen Primat geben könne, den der Wirtschaft nämlich. An dieser Stelle gleichen sich Marxismus und kapitalistische Volkswirtschaftslehre absolut. Beide meinen, es kommt primär auf die ökonomische Basis an. Wohl wahr. Nur ist das eine System bereits untergegangen und das andere in der Krise.

Eine Krise läßt sich nicht quantifizieren

Denn die Krise bleibt eben nicht einfache Quantifizierung, nicht bloße Zahl. Letztendlich helfen Ziffern den Menschen nicht, ebensowenig wie ihnen der Geldschein vom reinen Papierwert her helfen kann, letztendlich helfen nur Ideen. Diese beginnen mit den Zuschreibungen, die Menschen gegenüber Dingen und Prozessen vornehmen. Weil Ideen aber stammverwandt sind mit den Ideologien, gelten sie jenseits der angeblichen Sachlichkeit der Ökonomie als unwägbar und gefährlich. Aber nur aus ihnen heraus sind Veränderungen denkbar.

Es wird nicht reichen, die Gleichungen immer nach neuen Unbekannten umzustellen und ein paar rechnerische Determinanten zu ändern, wenn man darüber hinaus nichts zu sagen hat. Als Beispiel: Man fand es modern, das Gesundheitswesen – wie alle anderen existentiellen Bereiche der Gesellschaft ebenso – weitgehend dem Diktat des Marktes zu unterwerfen – mit dem Erfolg, daß der einzige, der gewinnträchtig in diese Konzeption paßt und den Ansprüchen aller teilhabenden Abrechnungsprofiteure am besten entspricht, der kranke Mensch viel eher als der Gesunde ist.

Der Kranke ist der Kunde, der modularisiert und standardisiert behandelt wird, prinzipiell genau so, wie das rechnende System den modularisierten und standardisierten Bachelor nach Credit-Points auf dessen Abschlüsse hievt. Daß dabei die Individualität beider gegenüber der durch die Effizienz gebotenen Beschleunigung kaum noch eine Rolle spielt, ist ein Kollateralschaden, um den sich Wirtschaft und Markt nicht scheren, weil dort nur die Zahlen interessieren, ein Schaden, der aber doch bleibt, und zwar innerhalb dessen, was Mensch und Gesellschaft politisch, ethisch und moralisch untereinander auszumachen haben. Wo die Zahl verschwindet, sind Reflexionen, Gedanken, Urteile immer noch da, als Hoffnungsträger oder Gespenster.

Krisen sind die Korrekturzeichen der Geschichte

In Börsenstürzen sollte man ebenso wie in der Krise des Euro weniger ein Dilemma als ein Hoffnungszeichen sehen. Kein Grund zur Depression. Je härter die Krise, die neben der ökonomischen ganz entscheidend eine ideelle ist, um so dringlicher das Umdenken im Suchen nach neuer Orientierung. Eine durchökonomisierte Gesellschaft kann – trotz des zugestandenen Primats des Wirtschaftlichen – keine gesunde Gesellschaft sein. Der Praxis geht bei Aristoteles die „Poiesis“ voraus. Und der ominöse Euro? Den wollten die Völker nie, ebensowenig wie die EU-Verfassung; der ist vor allem das Vehikel der auf Barrierefreiheit bedachten Finanzwirtschaft.

Krisen sind die Korrekturzeichen der Geschichte, vielleicht ihr anspringendes Immunsystem; sie räumen mit ökonomischem Hypertrophismus ebenso auf wie mit politischen Lebenslügen. Man kann sich derzeit gar nichts Besseres wünschen. Der Kranke braucht das Fieber nicht fürchten, es fördert die Heilung.

Weil keine wirtschaftliche Krise eine Sache der Ökonomik bleibt, ist aber alternative Politik gefragt, also Inspiration, die über reine Pragmatismen hinausweist. Man sehe sich daraufhin die Wahlplakate zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern an: Ganze Sätze werden nur noch von der Linken und der NPD gebildet, die selbst erklärten Siegelbewahrer der Demokratie belassen es bei dem zahnigen Lächeln ihrer Filialleiter in der Provinz oder kommen, wie die CDU, mit agrammatischen  Kalauern, nur weil der Kandidat auf den Ministerpräsidentenposten Caffier heißt: „C wie Zukunft!“ Das sind mindestens schon mal propagandistische Bankrotterklärungen. Das Land will sich verändern.

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