„Warum Mesut Özil am Freitag in Berlin für sein Geburtsland und Nuri Sahin für sein Vaterland spielt“, fragt man sich bei der . Kürzer kann man, wenn auch wohl unbeabsichtigt, den Zwiespalt von Einwandererkindern aus ganz anderen Kulturkreisen kaum auf den Punkt bringen: Selbst wenn sie als Integrations-Musterbeispiele herumgereicht werden, sind sie eben doch nicht einfach „Deutsche“ geworden, sondern bleiben allzu oft zerrissene Persönlichkeiten mit zwei Seelen in der Brust.
Mesut Özil, der Angela Merkel „lieb“ findet und von Kanzlerin und DFB zum Integrations-Maskottchen Nr. 1 befördert worden ist, sagt natürlich alles richtig: „Ich freue mich auf das Spiel, es geht ja gegen meine Freunde, ich bin stolz, im DFB-Trikot zu spielen“, und so weiter; und: „Ich bin in der dritten Generation in Deutschland. Ich fühle mich als Deutscher, eine andere Nation war nie ein Thema.“
Die Nationalhymne singt er aber trotzdem nicht mit, da „konzentriert er sich lieber aufs Spiel“. Oder betet Koranverse. Und daß er auch wieder nicht so „integriert“ ist, daß seine Freundin sich nicht doch genötigt sähe, ihm und seiner Familie zuliebe zum Islam überzutreten – sei’s drum. Alles in Butter also, Friede, Freude, Eierkuchen?
„Erklärt mich nicht zum Verräter“
Doch, doch, beteuert der wohl meistüberschätzte Nationalspieler und Integrationsexperte, er habe „viele Freunde in der Türkei, die mich anrufen und sehr stolz auf mich sind“, mittlerweile höre er „nur positiv aus der Türkei“, darüber sei er „sehr glücklich“. Seine Netzseiten, in deren Gästebuch er nach seinem ersten Spiel für Deutschland im Februar 2009 wüst beschimpft worden war, sind aber trotzdem wieder geschlossen.
„Damals gab es sogar Leute, die mich zum Vaterlandsverräter erklärt haben“, zitierte ihn übrigens das türkische Massenblatt Hürriyet. Das Interview habe gar nicht stattgefunden, dementiert der DFB-Pressechef. Und Özil habe auch nicht vor der türkischen Öffentlichkeit gebettelt, „Erklärt mich nicht zum Verräter, wenn ich ein Tor schieße.“
Werden sie aber wahrscheinlich so oder so tun: Die Boulevardzeitungen Sabah und Vatan und haben Özil schon für seine Aussage verbal verprügelt und , für ihn sei nie in Frage gekommen, für die Türkei zu spielen. Immerhin hat ihn Mustafa Dogan, der als erster Türke unter Berti Vogts für Deutschland spielte, in Schutz genommen.
„Das Beste aus beiden Kulturen“
Den Sarrazin findet Özil übrigens doof, Kollege Nuri Sahin, der am Freitag für die Türkei aufläuft, ist derselben Meinung. Wie Politiker deuten beide als schlagendes Argument, das jeden Zweifel an der Anpassungsfreude gewisser Einwanderergruppen zerstreuen soll, auf die angeblich so „bunte“ deutsche Nationalmannschaft. Freilich können Fußballprofis genauso wenig wie die Merkels und Böhmers und Wulffs dieser Republik erklären, worin genau die große „Integrations“-Leistung bestehen soll, wenn gut ausgebildete und bezahlte Fußball-Millionäre in einer kleinen Auswahl gut zusammenspielen.
Dortmunds Nuri Sahin ist wenigstens ehrlich: „Ja, meine Eltern und meine Familie sind türkisch, deshalb fühle ich mich als Türke.“ Anders als viele Einwandererkinder ist er aber außerhalb des Elternhauses „in der deutschen Kultur aufgewachsen“, und die Eltern haben großen Wert auf gute Deutschkenntnisse gelegt.
Daß er es zu etwas gebracht hat, ist also kein großes Wunder, und so zieht er ganz im Sinne der landesüblichen individualistischen Selbstverwirklichungsmoral „das Beste aus beiden Kulturen“. Aber Vaterland geht eben vor Geburtsland. Auch wenn Sahin nach eigenem Bekunden „Deutschland liebt“ und jeden Morgen beim Aufstehen „den Deutschen in sich“ spürt:
„Du weißt, deine Arbeit beginnt, und du willst pünktlich sein. Wenn du mal keine Lust hast auf Training, dann sagst du dir: Sei diszipliniert! Das bringt dich weiter! Du machst das für dich! Das ist eine Einstellung, die ich an Deutschland sehr schätze. In der Türkei ist es schon mal so, daß einmal keinmal ist, und zweimal auch.“ Ein wenig haben deutsche Schule, deutscher Kindergarten und deutscher Fußballverein also doch bewirkt.
Tolerieren, aber nicht unterstützen
Wem von all dem DFB-offiziellen Multi-Kulti-Zuckerguß schon leicht blümerant ist, der kann sich von Hamit Altintop auf den Teppich zurückholen lassen. Fußball sei „manchmal eine Herzensangelegenheit, aber viel öfter einfach Business“, spielverderbert der Bayern-Profi, der wie Özil in Gelsenkirchen geboren wurde, aber wie Sahin fürs Vaterland antritt:
„Als deutscher Nationalspieler hat Mesut mehr Lobby, einen höheren Marktwert, er verdient mehr Geld, hätte er sich für die Türkei entschieden, hätte er keine WM gespielt und wäre jetzt nicht bei Real Madrid. So einfach ist das.“ Und mit Integration habe das gar nichts zu tun. Wo er recht hat, hat er recht.
Altintop kann Özils Entscheidung tolerieren, aber nicht unterstützen: „Ich finde, daß es einem von vornherein klar sein muß, für wen man spielt – egal, ob man eine Einladung bekommt, egal, ob die Perspektiven besser oder schlechter sind. Es geht hier nicht um einen Vereinswechsel, diese Tendenz gefällt mir gar nicht. Es geht um die Fahne auf der Brust.“ So einfach ist das.
„Beides sind unsere Mannschaften“
Für die mit dem deutschen Adler auf der Brust heißt das übrigens: Gegen den stärksten Gruppengegner Türkei müssen sie zwei Auswärtsspiele bestehen. Nach Berlin müssen die türkischen Fans nämlich nicht eigens aus der Türkei anreisen, die sind schon da. Die zahlreichen Fairneß-Appelle klingen da fast schon wie Pfeifen im Wald.
Und überhaupt, wer spielt morgen jetzt eigentlich gegen wen? Auf türkischer Seite laufen laut Bild nicht weniger als sechs Bundesliga-Stars mit deutschem Paß auf (wie geht das eigentlich, sind das alles Doppelstaatler?). Die türkischen Talentsucher umwerben systematisch die in deutschen Vereinen gut ausgebildeten Einwandererkinder, und der DFB spekuliert ebenfalls auf weitere türkische Jungspieler für die A-Mannschaft. Und der abtrünnige Özil ist für den Fußballpatrioten Altintop trotzdem „wie ein Bruder“.
„Ich kann sagen: Wir werden gewinnen. Wir, das heißt entweder die Türkei oder Deutschland, denn beides sind unsere Mannschaften“, sagt listig Kenan Kolat, der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland. Aber natürlich drückt Kolat der Türkei die Daumen. Denn Vaterland geht vor Geburtsland, und Mutterland geht vor Kolonie.