Auf frühen Fotos wirkt er wie ein Hermaphrodit, nicht Mann, nicht Frau – so künstlich wie die Rosen aus den Fin-de-siècle-Gewächshäusern von Charles Baudelaire, Lautréamont oder Joris K. Huysmans. Denen hat er im Film „Der Rosenkönig“ (1984) ein hyperästhetisches Denkmal gesetzt: Darin will ein Rosenzüchter seinen Geliebten wie eine Blume „veredeln“. Opulente Tableaus und lange, für den heutigen Geschmack zu lange Einstellungen werden durch Opernmusik belebt: ein wunderschöner Garten der (Liebes-)Qualen.
Werner Schröters Werk steht für eine Epoche, als großzügige Subventionen das Medium Film kurzfristig vom Einspiel- und Quotenterror befreiten. Nur so konnte sein kryptisches Universum entstehen. Von allen seinen Zeitgenossen, sei es Fassbinder, Herzog, Syberberg, Wenders, Achternbusch oder sein Ex-Geliebter Rosa von Praunheim, war er der konsequenteste Romantiker.
Meist ohne festen Wohnsitz, zelebrierte er ein Leben als „Road Movie“, immer begleitet von den Arien der Maria Callas, immer auf der Suche nach der unerreichbaren Liebe. Die Callas, das war der Jugendschwarm des 1945 in Georgenthal (Thüringen) geborenen Schröter. Schon die ersten 8mm-Filme wie „Carla singt Callas“ und „La morte de Isotta“ (beide 1968), eine eigenwillige Tristan-und-Isolde-Adaption, etablierten sie als persönliche Kultfigur.
Psychologiestudium abgebrochen
Überhaupt wurde das Film- und Bühnenwerk des Regisseurs meist um Frauengestalten herum arrangiert: Salomé, Medea, Käthchen von Heilbronn, Lukrezia Borgia oder Emilia Galotti beispielsweise. Neben Stars wie Carole Bouquet, Christine Kaufmann oder Isabelle Huppert entdeckte er in der charismatischen Magdalena Montezuma seine ideale Darstellerin. Ihre großen Augen, der natürliche Glamour und die großen Gesten ließen die zu spät geborene Stummfilmdiva erkennen. Leider starb sie 41jährig, also viel zu früh, im Jahre 1984.
Auf der Filmakademie hielt der junge Schröter es nur wenige Wochen aus, auch ein Psychologiestudium brach er schnellstmöglich ab. Aber die minimal ausgestatteten Frühwerke des Schönheitssüchtigen ließen aufhorchen. Erste Preise und Auszeichnungen folgten, es sollten insgesamt 40 werden, darunter der Goldene Bär der Berlinale. In Frankreich hochgefeiert, blieb sein Film-Oeuvre in Deutschland weitgehend ungesehen. Anders seine Theater- und Operninszenierungen, ein Metier, für das Peter Zadek ihn 1972 entdeckte.
Ivan Nagel, legendärer Intendant des Hamburger Schauspielhauses, zog im selben Jahr nach und bot eine Jean-Genet-Inszenierung an. Genet, war der homoerotische Kultautor seiner Zeit und stand in seiner pathetisch-sakralen Stilisierung der Ästhetik Schröters sehr nah. Aber zur Überraschung des Intendanten erklärte der Jungregisseur: „Nein, Genet ist mir zu altmodisch. Ich will ein modernes Stück.“ Auf Nagels Rückfrage, an welches zeitgemäße Werk er denn denke, kam die Antwort: „Emilia Galotti“.
Reibekuchen-Bude eröffnen
Noch 29 Jahre später, als er Lessings Tragödie zum zweiten Mal auf die Bühne brachte, erklärte Schröter sie zum „aktuellesten Stück“ überhaupt. Wer dieser zweiten Version am Düsseldorfer Schauspielhaus beiwohnte, vergißt niemals ihre ungeheure Dynamik: eine zweistündige Hast der Heldin ins finale Messer des Vaters – aus lauter Furcht vor der eigenen, maßsprengenden Sehnsucht.
In seinen mittleren Jahren wurde Schröters tänzerisch-dünner Körper langsam füllig, erdig, bodenständig. Mit der Ingeborg-Bachmann-Adaption „Malina“ (1990) gelang ihm sein einziger Kommerzerfolg, gefolgt von eher mittelmäßigen Bühnenarbeiten, darunter „Caligula“ von Albert Camus (Köln, 1993) und „Werther“ von Jules Massenet (Bonn, 1993). In jener Zeit verriet er dem Interviewer, falls seine Karriere als Regisseur mal zu Ende gehe, wolle er die erste wirklich gute Reibekuchen-Bude Deutschlands eröffnen wolle. Fast möchte man bedauern, diese Seite Schröters nie gekannt, seine Kartoffelpuffer nie gekostet zu haben.
Schröter, zeitlebens von übergroßem Schuldgefühl geplagt, deshalb der Vergebungsmythologie des Katholizismus zugetan, glich zuletzt einer Heiligenikone. Durch das Wüten des Krebses war sein Körper bis auf die Knochen abgemagert. Aber die aristokratische Haltung und das Glühen der Augen blieben bis zuletzt. Sein filmischer Schwanengesang „Diese Nacht“ (2008) feiert ein Totenfest inmitten von Militärdiktatur und Choleraepedemie, eine Mischung aus Camus‘ „Die Pest“ und Pasolinis „120 Tagen von Sodom“.
Und in diesem Welten-Horror sucht ein Arzt seine unauffindbare Liebe; eine Suche, die ins Dunkel des Todes führt, wie bei Schröter selbst, der am vergangenen Montag seine letzte Metamorphose vollzog. Er starb wenige Tage nach seinem 65. Geburtstag.