Obwohl das britische Wahlrennen knapp zu werden verspricht – der Verlierer steht schon fest, wenn die Briten heute ein neues Unterhaus wählen: Gordon Brown, Labours Premier sans fortune.
Verloren hat Brown die Wahl im Grunde schon vor einer Woche, als er nach einer der zahllosen inszenierten Begegnungen mit dem Bürger herausplatzte, wie er wirklich über seine Wähler denkt – und die ganze Nation hörte mit, weil der glücklose Premier vergessen hatte, das vom begleitenden Fernsehteam angeheftete Mikrofon wieder vom Revers zu nehmen, bevor er in seinen Jaguar stieg.
Die Bilderbuch-Labour-Anhängerin Gillian Duffy, 66jährige Rentnerin aus Rochdale, die ihr ganzes Leben lang die Sozialisten gewählt hatte wie ihre ganze Familie seit 90 Jahren, wurde auf einen Schlag im ganzen Vereinigten Königreich berühmt. Dabei hatte sie nur die paar Minuten Händeschütteln genutzt, um dem Premier zu sagen, was ihr nicht so gefiel: Die astronomischen Staatsschulden; die hohen Studiengebühren, unter denen ihre Enkel leiden; das asoziale Verhalten vieler „Jugendlicher“ in ihrem Heimatort, einer nordenglischen Multikulti-Brennpunkt-Gemeinde; und man dürfe ja gar nichts über Einwanderung sagen, aber wo kämen bloß die vielen Einwanderer aus Osteuropa her?
Nicht nur persönliches Debakel
„Nett, Sie zu sehen, Sie sind eine gute Frau“, beteuerte der mürrische Obersozialist ein ums andere Mal, um dann hinter der geschlossenen Wagentür vom Leder zu ziehen: „Eine Katastrophe. Wer hatte bloß die Idee, mich mit dieser Frau zusammenzubringen, dieser intoleranten („bigot“) Person?“
Erstmals mit der Tonaufnahme konfrontiert, sank der Premier in sich zusammen. Tagelang ging „bigotgate“ in allen Einzelheiten durch die Medien. Beifall bekam Brown allenfalls von einer muslimischen Fernsehkommentatorin. Brown mußte sich bei den eigenen Wahlkämpfern und bei der beschimpften Wählerin entschuldigen. Mrs. Duffy, schwer gekränkt, zeigte Charakter, blieb standhaft gegenüber allen Schadensbegrenzungsversuchen und verweigerte sich selbst dem vom PR-Team des Premiers erbettelten Versöhnungsfoto.
Wer da der bigotte Heuchler ist, steht wohl außer Frage. Die Panne war keineswegs bloß ein persönliches Debakel des Premierministers und seiner Regierungspartei, die ihre Wähler nicht mehr verstehen, wie deutsche Kommentatoren vermuteten. „Gordon Brown haßt jeden – auch die eigenen Wähler“, schreibt zwar ein britischer Kollege; Wählerhaß und zynische Volksverachtung sind indes keine Spezialität einzelner Politiker.
Tiefgreifendste Umwälzung des Landes
Eine britische Boulevardzeitung spricht das gnadenlos aus: Browns arrogante Reaktion auf die Sorgen einer braven Witwe entlarvt die Heuchelei der ganzen politischen Klasse. Gillian Duffy „war großartig, und sie sprach für Millionen“; „eine Großmutter“ habe durch bloßes Ansprechen des Themas „die Zensur bloßgestellt, die Politiker über die Masseneinwanderung verhängt“ hätten, und der Regierungschef habe sie dafür verteufelt.
Die Labour-Sozialisten seien „die wahren Heuchler in Sachen Einwanderung“, wetterte die Tory-freundliche Daily Mail weiter. Gordon Brown zeige die typischen „Pavlowschen Reflexe der politisch korrekten, geschwätzigen Klasse Großbritanniens, die sofort Rassismus und Intoleranz schreit, wenn jemand das Thema Einwanderung anspricht“. Das linke Establishment, voran die öffentlich-rechtliche BBC, ersticke die Debatte über die tiefgreifendste Umwälzung in der Geschichte des Landes und geriere sich als „staatlicher Zensor“.
Obwohl Einwanderung ein Hauptthema des Wahlkampfs geworden sei, trauten sich auch die konservativen Tories nicht, mit allzu konkreten Forderungen aufzutreten aus Angst vor linken Intoleranz-Vorwürfen. Da liegt es auf der Hand, daß auch die ein oder andere vermeintliche Kurskorrektur der Labour-Regierung in Sachen Einwanderung nicht ernst gemeint war, sondern nur ein von den Erfolgen der noch radikaleren Opposition inspiriertes Manöver.
Nicht nur auf der Insel
Gordon Brown hat also allen Grund, sich vor den Fragen der ganz normalen Leute zu fürchten. Kam doch erst vor kurzem heraus, daß man vor allem deswegen systematische Masseneinwanderung ohne Rücksicht auf weitere Folgen vorangetrieben habe, um die Gesellschaft umzukrempeln und strukturelle linke Mehrheiten dauerhaft zu installieren.
Und selbst Browns lahmes Standard-Argument, mit dem er auch Gillian Duffy traktiert hatte – es arbeiteten doch noch viel mehr Briten überall draußen in der EU, als Einwanderer nach Großbritannien kämen, man profitiere also in beide Richtungen, ist soeben von der EU-Statistikbehörde Eurostat selbst als Lüge entlarvt worden.
Aber es ist ja nie die eigene falsche Politik dafür verantwortlich, daß einem selbst die treuesten Stammwähler davonlaufen wie jene Witwe aus Rochdale – die Wähler sind schuld, weil sie so intolerant, latent rassistisch und überhaupt zu dumm sind. Diese Denkweise gibt‘s übrigens nicht nur auf der Insel. So arrogant, wie unsere eigenen selbstzufriedenen Migrantenversteher und Griechenland-Retter auf Kritik reagieren, wünscht man sich doch, die Merkels, Rüttgers, Gabriels, Steinmeiers und Westerwelles dieser Republik würden auch ab und zu mal wie Gordon Brown das Mikrofon am Revers vergessen – und kritische Massenmedien würden die ertappten Heuchler dann unbarmherzig vorführen. Träumen darf man ja mal.