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Totenhäuser des Kapitalismus

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Während die Profiteure der deregulierten Finanzmärkte bereits wieder dicke Gewinne einstreichen, gibt es Regionen und Städte, in denen immer deutlicher sichtbar wird, mit welcher Härte die internationale kapitalistische Rallye nach unten durchschlägt. Dies gilt auch und gerade für Amerika, von wo aus die „Liberalisierung der Märkte“ global mit Vehemenz durchgesetzt wurde.

Einer dieser Orte ist die Kleinstadt Troy im Bundesstaat New York, die als eine Art „Symbol für den Abstieg der weißen Arbeiterklasse“ gelten kann, wie Jürgen Schäfer in seiner Geo-Reportage „Was am Ende übrig bleibt“ (März 2010) schreibt. Bis in die 70er Jahre hinein war Troy eine florierende Industriestadt, deren Textilfabriken und Stahlwerke viele Zuwanderer anzogen. Dann begann der langsame Abstieg, der sich zu einer Art „race to the bottom“ beschleunigte.

Wie Troy heute aussieht, davon legen die bedrückenden Fotos der Reportage deutlich Zeugnis ab: die Fabriken liegen in Trümmern, und Arbeit gibt es kaum mehr – was in Troy gefertigt wurde, wird nun in China hergestellt. Zurückgeblieben sind Menschen, „die niemand braucht, die keiner haben will“, schreibt Schäfer. Die Menschen, die zu Wort kommen, erinnern an das Personal von Romanen wie „Kaputt in Hollywood“, mit denen der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski die Schattenseiten des „American Way of Life“ illuminierte. Es sind Kleinkriminelle,Säufer, Sozialhilfeempfänger, Prostituierte, Drogensüchtige und andere Gescheiterte, die sich hier durch ein Leben zu schlagen versuchen, in dem es für sie keinerlei Perspektive mehr gibt.

Malocher werden nicht mehr gebraucht

Die größte Industrienation der Erde hört auf, eine zu sein“, schreibt Schäfer. „Nur jeder Fünfte arbeitet noch in einer Fabrik; vor zwei Generationen war es noch jeder Dritte.“ Wer nie eine Universität besucht hat, „muß eine demütigend bunte Uniform überstreifen und Hamburger braten“; oder Alte pflegen für einen Lohn, mit dem eine Familie nicht über Wasser gehalten werden kann. Nicht wenige in Troy gehen deshalb gar nicht mehr arbeiten, denn „wo Arbeit keinen Wert mehr hat, hat es auch keinen Wert mehr, arbeiten zu gehen“.

Schäfer belegt dies mit Zahlen: Der Mindestlohn in den Vereinigten Staaten ist in den letzten dreißig Jahren um fast ein Viertel gesunken – in einer Phase also, als an der Wall Street gerade märchenhafte Gewinne eingestrichen wurden. Es besteht in einer hochentwickelten Gesellschaft wie der amerikanischen schlicht kaum mehr Bedarf an „Malochern“ oder „Hand- und Spanndienstleistern“. So laufen Versuche, Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen (oder zu zwingen) ins Leere.

Die Armut, die in Troy grassiert, hat eine beunruhigende Eigenschaft; sie scheint erblich zu sein, sie wird samt Sozialhilfe, Wohngeld oder Essensmarken weitergereicht; teilweise schon über mehrere Generationen hinweg. Nicht wenige verfallen dabei der Drogensucht, die immerhin zu einem Attest führt, das Invalidität bestätigt. Das wiederum garantiert Geld vom Staat, mit dem der Drogenkonsum weiter finanziert werden kann.

Amerika ganz unten“

Wohl auch deshalb expandiert in dieser Stadt der Verlierer nur eins, nämlich das Gefängnis. An Nachwuchs mangelt es den „Gangstas“ nicht: Weil in New York die Bandenkriminalität durch rigorose Bekämpfung deutlich nach unten gedrückt werden konnte, sahen sie sich gezwungen, nach neuen „Wirkungsmöglichkeiten“ Ausschau zu halten. Offenbar wurden sie in Troy fündig: Hier liegt die Kriminalität mittlerweile zwei Drittel über dem amerikanischen Durchschnitt.

Städte wie Troy oder auch Detroit, wo heute ganze Gebiete in Ackerland umgewandelt werden, sind so etwas wie Totenhäuser des Turbokapitalismus, in denen die lebendig begraben sind, die dieses Wirtschaftssystem ausgeschieden hat. Wer hier angekommen ist, für den ist der „amerikanische Traum“ definitiv ausgeträumt, der befindet sich „ganz unten“ (Schäfer).

Aus europäischer Perspektive besteht keinerlei Anlaß, über derartige Szenarien nicht beunruhigt zu sein, werden doch hier in aller Regel die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten mit dem Abstand weniger Jahre nachvollzogen.

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