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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Nachtclubdichter (Teil 1)

Nachtclubdichter (Teil 1)

Nachtclubdichter (Teil 1)

 

Nachtclubdichter (Teil 1)

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„I know I’m ugly
 but I glow in the night“
– Ich weiß, ich bin eklig
aber nachts, da glüh‘ ich.
(Leuchtschrift auf einer Nachtclubsfassade in der Warschauer Straße in Berlin)

Nach dem seligen Hubert Fichte galt Rainald Goetz als der Dichter des hiesigen Nachtlebens: ein inszenierter Spätpunk auf der Suche nach Sprachrhythmen der achtziger Jahre, der literarische Delirien über Clubkultur in der Musikzeitschriften Spex publizierte. In den Neunzigern bereits preisgekrönter Hausautor bei Suhrkamp, fand Goetz in der Techno-Bewegung seine Privatreligion, freute er sich als 40jähriger, wenn ihn noch mal eine „süße Maus“ anlachte. Da hatten er und seine Generation ihr zeitgeistiges Zenit bereits überschritten. Aber um die Nachfolge sah es finster aus.

Die sogenannte Popliteratur à la Stuckrad-Barre war so bescheuert wie die gesamte Spaß-, Lounge- und Wellnesskultur der „Generation Ich-AG“. Dieser Wüstengang fand jetzt schlagartig ein Ende. Mit Airen und Helene Hegemann trat eine neue Generation der Nachtclub-Chronologen auf. Deren Kultstätte ist der Friedrichshainer Szeneschuppen Berghain, von der Musikwissenschaftlerin Julia Spinola als „neues Bayreuth“ in „ostdeutscher Brache“ tituliert.

Schwarze Spätromantik

Und wirklich, so verloren wie Wagners Helden sind die Besucher jener Katakombe, in deren ritueller Nacht-Religion sich unterschwellige Ängste einer (auf-)gehetzten Karriere-Ideologie artikulieren. Das hat wenig mit „Spaß”, aber viel mit Verzweiflung, Ekel, Leere, mit Flucht in Drogen, Sex und Trance zu tun. Eine schwarze Spätromantik lebt hier auf, aus deren Bestandteilen Helene Hegemann ihr Szenario aus innerer Zerrissenheit und Depression inszeniert, verschärft durch Splatter-Einlagen wie zerfetzte Vogelembryos und plattgefahrene Axolotl.

Nun ist die „Krankheit der Jugend” (Ferdinand Bruckner) kein neues Phänomen. Wie soll ein Teenager auch den Bruch aller Psycho-Strukturen, die Sprengkraft des Eros, die damit verbundenen Enttäuschungen, den Eintritt in eine – zu jeder Zeit – höchst fragwürdige Gesellschaft überstehen? Da braucht die Seele zwei, drei Jahre Akklimatisierungszeit. Manche versinken darin bis zum Lebensende. Schon die frühen Wikinger kannten die „Aschenzeit“, in der Pubertierende, von Melancholie und Passivität überfallen, auf dem Aschenring des Lagerfeuers schliefen. Diese „Aschenzeit” dauerte bis zu zwei Jahren. Sie kulturell integriert zu haben, spricht für die Großzügigkeit jener nordischen Kultur, die sich auch in alten Thule-Legenden widerspiegelt.

Heute dagegen rechnet man jedes „Aschenjahr” als verlorene Zeit für Praktika und Zusatzqualifikation. Das tägliche Aufdrängen von überholtem Wohlstandsstreß wird durch herzschlagschnelle Rhythmen, die Zumutung des Eros durch „Darkroom“-Sex und das instabile Ich durch Drogen, Psychopharmaka, Alkohol oder antrainierte „Coolness“ kompensiert, bis man die Welt nur noch „stroboskopartig“ (Airen) wahrnimmt; wie einen flackrig-düsteren Stummfilm, wo der mitternächtliche Nosferatu, caligareske Somnambule und Dr. Mabuse die Ängste des Weimarer Publikums verkörperten. Und in jener Zeit schlummern auch die entscheidenden Stichworte zum Verständnis aktueller Nacht-Kultur.

„Zombologie“ der Gegenwart

Das begriff schon der 1996 verstorbene QRT (alias Konradin Leiner), Gründer des Berliner Szenemagazins 030 und Mitbesitzer des Nachtclubs „Ex’n Pop“. Mit 29 Jahren an einer Überdosis Heroin gestorben, hinterließ er zahlreiche – post mortem publizierte – Theorietexte. Sein Hauptwerk „Drachensaat“ deutet den französischen Poststrukturalismus als Erbe des „heroischen Nihilismus“. Den vertraten im frühen 20. Jahrhundert Denker wie Ernst Jünger, Oswald Spengler, Martin Heidegger, Gottfried Benn und Teilhard de Chardin. So transformierte QRT deren Ansätze für eine „Zombologie“ der Gegenwart, zu einer Theorie moderner Medienwelten als Ort „elektronischer Schlachtfelder“.

Seiner Werte und Persönlichkeitsstruktur verlustig, flüchtet der „heroische Nihilist“ nicht vor dem „Schlangenblick des Nihilismus“ (A. Baeumler), wirft sich nicht in Illusionen, begeht keinen Suizid – sondern stellt sich ihm „grund-los” entgegen – tanzt auf (und mit) dem Nichts. Und auf dieser Tanzfläche trifft man auch die Nacht-Helden von Airen und Hegemann. (Fortsetzung folgt)

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