Bei den Haushaltsberatungen des Bundestages 1981 kam es zu einem aus heutiger Sicht interessant erscheinenden Disput um die Frage, ob der Politik in eher angelsächsischer Weise nur „leadership“ zukommen solle oder ob von ihr, gewissermaßen als praeceptor germaniae, auch Sinngebungen und Inspirationen zu erwarten wären.
Richard von Weizsäcker neigte letzterem zu, indem er die politischen Zustände in einer an die Gegenwart gemahnenden Weise diagnostizierte: „Die ganze Gesellschaft wird immer unbeweglicher, sie wird immer gelähmter, wenn dieser heute zentrale Kern der politischen Führung verweigert wird.“
Er las Kanzler Helmut Schmidt zwar nicht die Leviten, kritisierte aber, daß dessen Regierung „in der entscheidenden Frage, dem eigenen Volk gegenüber eine nicht autoritäre, nicht lehrerhafte, aber im besten Sinne Erziehungsaufgabe zu übernehmen“, versagt habe.
Vom Vordenker zum Vorschreiber
Helmut Schmidt, vor allem in seiner eigenen, aber ebenso in fraktionsübergreifender Wahrnehmung heute als Inbegriff des elder statesman geltend, wiegelte damals nicht nur ab, sondern holte weit aus und benutzte dazu das ganz große Besteck:
„Der entsetzliche Holocaust, der im Namen des deutschen Volkes durch Hitler über uns und unsere Nachbarvölker gebracht worden ist, hat ja auch etwas mit der übertriebenen Erwartung zu tun, die viele Deutsche in der Nachfolge Hegels von links oder von rechts an den Staat gerichtet haben. Ich bin ein Gegner der Staatsvergottung. Ich bin innerlich ganz unruhig, wenn ich sehe, wie es Menschen gibt, die von dem Staat das geistige Heil erwarten. Man darf den Staat und man darf auch die Organe des Staates nicht in die Rolle hineindrängen, in der sie Lebensinhalte, geistige Inhalte für das Leben einzelner Personen geben sollen. Vom Vordenker zum Vorschreiber ist in vielen Staaten der Welt ein kurzer Weg.“
Hitler, Hegel, Holocaust und Heil
Aha! Hitler, Hegel, Holocaust und Heil, die Linken und die Rechten! Bloß nicht führen, bloß keine Ideen, geschweige den Ideale anbieten, nur nicht anregen und aufregen, sondern sich artig aufs Rechnen und Planen beschränken, nur nicht spekulativer Lenker sein und in den gefährlich dräuenden Himmel der großen Ideen greifen! Das war schon der Geschmack der lauen Biederkeit zu Beginn der Achtziger, kurz vorm Sturz der sozial-liberalen Koalition.
Damals wollten die Regierenden nicht inspirieren, aber der Unterschied zu heute besteht darin, daß sie es gar nicht mehr können! Die Fähigkeit dazu, schon die rhetorische, ist ihnen abhanden gekommen. Deshalb formulieren die Politiker wie ihre eigenen Pressesprecher, deshalb scheuen sie sich vor Konfrontation, deshalb ist das Milieu absolut ph-neutral und weichgespült.